Chamissos Schatten: Kapitel 2 Teil 1 - Tschukotka und die Wrangelinsel

Eine Filmkritik von Andreas Günther

Zum Walfang auf Distanz

„Schatten, dacht ich, suchst du deinen Herrn? der will ich sein.“ Mit diesen Worten aus Adelbert von Chamissos Erzählung Peter Schlemihls wundersame Geschichte leitet Ulrike Ottinger den ersten Teil Tschukotka des Zweiten Kapitels von Chamissos Schatten ein. Das Zitat gibt zu erkennen, dass die Regisseurin und Autorin in der Fortführung ihres opulenten Dokumentarfilms in drei langen Kapiteln noch souveräner als bisher mit dem Bedeutungsschatten Chamissos umgeht, wenn sie die Spuren der russischen Weltreise von 1815-18 weiterverfolgt, an der der Poet und Naturforscher teilnahm.
Eine kleine Weile wirkt fort, was sie im ersten Kapitel unternimmt, das am 24. März in die Kinos kam, nämlich die historisch-kulturellen Verflechtungen eher aufmerksam zu bezeugen als penetrant zu erforschen, die sich über weite, herb-schöne, bergige Landschaften und die Beringsee zwischen ihnen erstrecken. So gibt Ottinger aus dem Off zu Protokoll, dass sie und ihr Team erst nach langwierigen Kontrollen des Gepäcks den Fuß auf die russische Seite und die Insel Tschukotka setzen durften. Junge Männer des Volks der Yupiks von der St.-Lorenz-Insel, die zur US-amerikanischen Seite gehört, setzen jedoch mit schöner Regelmäßigkeit und unbehelligt von Kontrollen über. Wie seit tausenden von Jahren, denn die politischen Entwicklungen konnten den uralten Verheiratungspraktiken zwischen den Eilanden nichts anhaben. „Das Blut auffrischen“, hätten die Männer lachend auf Ottingers Frage nach dem Zweck ihrer Reise entgegnet.

Ottinger versenkt sich auf diesem Abschnitt ihrer Reise in die Kultur und Rituale der Eskimos und der Ureinwohner von Tschukotka. Chamissos Reisetagebuch – dem einmal mehr kein Geringerer als Hanns Zischler Gehör verschafft, während Burghart Klaußner aus dem noch älteren Reisetagebuch Georg Wilhelm Stellers vorliest – spricht von beiden Ethnien mit großem Respekt. Doch verlaufen sich seine Bemerkungen ins Allgemeine. Die stolzen, weitgehend ungeknechteten Bewohner Tschukotkas sind ihm sympathisch, gehen ihm aber nicht so zu Herzen wie die unterdrückten Aleuten.

Geduldig wendet sich hingegen Ottinger ihnen zu. Selten löst sich die Kamera, die sie selbst führt, von den Menschen ab, ehe diese nicht selbst den Bildraum verlassen, seien es kleine Kinder auf ihrem Fahrrad oder ältere, sehr langsam gehende Leute, oder Fischer, die, in Unterredungen vertieft, in einem Haus verschwinden. Allerdings heißen die Fischer hier Jäger, denn Wale, von denen schon ihre Vorfahren alles Lebensnotwendige bis zu den Verstrebungen ihrer Hütten gewonnen haben, fischt man nicht.

Den Menschen ist Ottinger gern nahe, aber nicht dem Harpunieren von Walen mit Sprengstoffen, die sie innen zerplatzen lassen. Zu dieser Methode wahrt sie eine große räumliche, aber stumme Distanz, nimmt nur aus der Ferne die Wasserfontänen und den Knall der Detonationen auf, gefolgt von einem nüchternen Fazit der Jagd. In dieses zweite Kapitel schleichen sich überraschenderweise bisher unbekannte Momente der Ambivalenz ein.

Chamissos Schatten: Kapitel 2 Teil 1 - Tschukotka und die Wrangelinsel

„Schatten, dacht ich, suchst du deinen Herrn? der will ich sein.“ Mit diesen Worten aus Adelbert von Chamissos Erzählung „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ leitet Ulrike Ottinger den ersten Teil Tschukotka des Zweiten Kapitels von Chamissos Schatten ein.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen