Bittere Kirschen

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der schmale Grat

Wer kennt das nicht, dass die Erinnerung selten in den vermeintlich passenden, viel öfter aber in den absolut unpassenden Momenten anspringt, dass sie uns nicht mehr loslässt und unsere Schritte abseits der vertrauten und gewohnten Pfade lenkt – gerade so, als besäße sie eine geheime Macht über uns. Ganz ähnlich ergeht es auch der Protagonistin in Didi Danquarts Adaption von Judith Kuckharts Roman „Lenas Liebe“, die nun mit dem Titel „Bittere Kirschen“ in die deutschen Kinos kommt.
Der Film handelt von der Schauspielerin Lena (Anna Stieblich), die nach dem Tod ihrer Mutter und einigen herben beruflichen Rückschlägen in den Ort zurückkehrt, wo sie einst aufgewachsen ist, um dort die Beerdigung und einiges andere zu regeln. Dazu zählt beispielsweise auch das Wiedersehen mit Ludwig (Ronald Kukulies), mit dem sie einst eine leidenschaftliche Liebe verband. Und dann gibt es noch den alten Julius Dahlmann (Martin Lüttge), der früher einmal ein glühender Verehrer von Lenas Mutter war und der aus jenem Ort in Polen stammt, dessen Namen insbesondere im Deutschen schreckliche Assoziationen hervorruft – Auschwitz, das heute Oświecim heißt.

Weil es mit der Karriere nicht so recht läuft, bricht Lena nun mit dem Auto nach Auschwitz auf, um dort nach Antworten zu suchen, warum das Leben ihrer Mutter so verlaufen ist, warum sie und Dahlmann trotz ihrer Zuneigung nicht zueinander finden konnten und welches das Geheimnis ist, das sich in der Vergangenheit verbirgt. Kurz entschlossen reist Dahlmann ihr hinterher und quartiert sich dort bei seinem Freund, dem aus Deutschland stammenden Pfarrer Richard Franzen (Wolfram Koch), ein, der alsbald mehr als nur Freundschaft zu der unkonventionellen Lena empfindet. Und so heißt es eines Tages für die drei, gemeinsam den Heimweg anzutreten – denn die zufällige Begegnung in dem geschichtsträchtigen Ort hat einige Gefühle in Aufruhr gebracht, während andere Turbulenzen sich geklärt haben.

Didi Danquarts Film ist kein einfacher – das „melodramatische Roadmovie“, wie es der Regisseur nennt, ist so vollgestopft und manchmal auch überfrachtet mit sich überlagernden Motiven und Themen, das beinahe zwangsläufig vieles nur angerissen werden kann und deshalb die Erzählung als Summe ihrer Teile fragmentarisch bleiben muss. Bittere Kirschen balanciert auf dem schmalen Grat zwischen Banalität und Tiefsinn, zwischen großem Kunstwillen und – Verzeihung an die gleichnamige Redaktion, die viel für das junge deutsche Kino geleistet hat – auch bildlich kleinem Fernsehspiel. Und nicht immer gelingt der Tanz auf dem Seil so, wie dies wohl intendiert war. Daran nicht ganz unschuldig ist die verworrene Dramaturgie der Geschichte, die wild in den verschiedenen Zeitebenen hin und her springt und dabei vor lauter Vermeidung einer allzu linearen Narrativik die Figurenzeichnung und deren Motivation sträflich vernachlässigt. So geschieht einiges, was Lena auf dieser Odyssee nach Polen und wieder zurück widerfährt, ganz unvermutet und so beiläufig, dass man sich immer wieder dabei ertappt, wie diese neuerliche Wendung denn nun wieder zustande gekommen ist; vor allem aber, wie diese wohl psychologisch in den Personen verankert sein mag. Was treibt Lena nach Auschwitz, warum folgt ihr Julius und warum verlieben sich nur alle in diese Frau, die so unscheinbar daherkommt? Am unwichtigsten erscheint da noch die Frage, welche Bewandtnis es eigentlich – abgesehen von der recht augenfälligen Farbsymbolik – mit dem Titel auf sich hat. Auch die durchaus ambitionierten Dialoge treffen nicht immer den richtigen Ton, wirken oftmals übermäßig verkopft, in einigen Fällen auch schlichtweg schlecht dargestellt, so dass die behaupteten, sprich: ausgesprochenen Gefühle, keinen Widerhall im Mienenspiel der Darsteller finden.

Ähnlich zerrissen und inkongruent wirken die Bildfindungen Danquarts und seines Kameramanns Johann Feindt, die zwischen surrealistischen Szenerien (das Zwiegespräch zwischen Lena und ihrer später noch mehrmals auftauchenden verstorbenen Mutter), durchsichtigen Rückblenden, Fernsehallerlei und vermutlich beabsichtigten Banalitäten (wie einer aus dem Himmel auf die Szenerie herabschauenden Mutter am Ende des Films) keinen richtigen Fluss zustande bekommt; ein Eindruck, der durch die unruhige Montage, den Einsatz der Musik (auch hier sticht vor allem das Ende heraus) und einige heftige Continuity-Schnitzer (das Geheimnis des sich verwandelnden Autokennzeichens ist dabei noch der offensichtlichste Fehler) weiter verstärkt wird. Wobei auch hier zu vermuten ist, dass nicht alle Sprünge und Disruptionen aus Versehen passiert sind, sondern manche durchaus dem künstlerischen Kalkül der Regie entspringen, die ganz offensichtlich eine allzu große Annäherung an die stromlinienförmige Dramaturgie deutscher Kino-TV-Hybride vermeiden wollte. Eine durchaus löbliche Absicht, die aber leider nur zu selten gelingt.

Vielleicht muss man aber anders an diesen Film herangehen, sich damit abfinden, dass vieles nur (im besten Falle) angedeutet wird, dass am Ende mehr Fragen bestehen bleiben als Antworten gegeben werden, so wie dies auch die Protagonistin Lena erfährt, deren Fragen an den Umgang mit der Vergangenheit nicht beantwortet werden können. Aber vielleicht reicht es ja schon aus, dass jemand überhaupt diese Fragen stellt. Einen rundum gelungenen Film macht das aber noch lange nicht aus, Bittere Kirschen jedenfalls kommt über beachtliche Ansätze und interessante Facetten nicht hinaus.

Bittere Kirschen

Wer kennt das nicht, dass die Erinnerung selten in den vermeintlich passenden, viel öfter aber in den absolut unpassenden Momenten anspringt, dass sie uns nicht mehr loslässt und unsere Schritte abseits der vertrauten und gewohnten Pfade lenkt – gerade so, als besäße sie eine geheime Macht über uns. Ganz ähnlich ergeht es auch der Protagonistin in Didi Danquarts Adaption von Judith Kuckharts Roman „Lenas Liebe“, die nun mit dem Titel „Bittere Kirschen“ in die deutschen Kinos kommt.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen