Bestiaire

Eine Filmkritik von Festivalkritik Berlinale 2012 von Lida Bach

Im Auge des Betrachters

Schönheit liegt im Auge des Betrachters und dieses Auge ist menschlich. Es blickt auf das Tier, scheint jede seiner Regungen zu studieren und studiert tatsächlich doch nur seine Reglosigkeit. Das Objekt ist kein Tier, sondern dessen Attrappe. Ein Präparat, täuschend echt bis auf die Bewegungslosigkeit, ist das starre Betrachtungsobjekt einer kleinen Gruppe.
In der ersten Sequenz von Denis Cotés kinematischer Verhaltensstudie sind es die Teilnehmer eines Zeichenkurses, der in einer bis auf die Kunststudenten und ihr Motiv leeren Betonhalle stattfindet. Roh und kalt wie dieser architektonische Raum ist der visuelle Rahmen, in den der franko-kanadische Filmemacher in seinem Beitrag des Berlinale Forums sein Sujet fasst: Die Imitation natürlichen Lebens in einer Umgebung, die der Wildnis, die sie eingefangen hat, diametral entgegengesetzt ist.

Der animalische Blick scheint sich in der wortlosen Meditation ebenso aus den Gesichtern der Menschen wie dem Antlitz der Tiere auf den Zuschauer zu richten. Im Zentrum des kontemplativen Essays jedoch steht die zivilisatorische Perspektive, die sich der Regisseur in der Eröffnungsszene aneignet. In ihm spiegelt und doppelt sich die Perspektive des Publikums im Kino, das zugleich die Position der Käfigtiere und ihrer Betrachter einnimmt. Das nächste Auge, das in die Kamera blickt, ist im Grunde so leblos wie das des Präparats und dabei seltsam beseelt. Es ist das Auge auf einer der Zeichnungen, die eben jenes Präparat darstellt. Das Abbild des Abbildes des realen Lebens soll das Leben selbst zeigen und fängt dabei mehr Lebendigkeit ein, als das erste Abbild, an dem es sich orientiert. Nach dem Prinzip einer Matroschka, die immer neue Replikationen ihrer selbst in sich birgt, fügen sich die Metaphern in den strengen Bildern ineinander.

Bisons auf einer verschneiten Wiese, im Hintergrund ein Blechzaun, dessen Metall kälter scheint als die Luft, in welcher der Atem der Tiere in Dampfwolken aufsteigt. Vor einem Drahtgitter ein Lama, das zwanghaft die gleiche schmale Strecke abschreitet, obwohl ihm ein größeres Areal zur Verfügung steht. Dahinter ziehen sich Stromleitungen durch die Winterlandschaft, in denen die eingeschlossene Energie ebenso vorhersehbar zirkuliert wie das Lama. Ein einzelnes Fenster, selbst dieses ist mit einer Blechjalousie verschlossen, lässt die Betonwand hinter einer Herde Ponys noch undurchdringlicher erscheinen. Die aus den Aufnahmen sprechende Trostlosigkeit, die in den schwächsten Momenten zur Sinnlosigkeit zu werden droht, vermittelt in den Stärksten ein Gefühl für das Einpferchen der Natur durch Menschenhand, die oberflächlich als versorgend erscheint.

Das Verpflegen durch die Wärter ähnelt der routinierten Versorgung von Gefangenen. Nüchtern und beinahe mechanisch tastet auch die Kamera die Welt aus Stäben ab. Ein Reiher, dem ein Flügel amputiert wurde, ist Sinnbild der Verstümmelung des Natürlichen. In einem Safaripark klammert ein Affe sich an ein Stofftier, während in einem Hinterzimmer ein Parkmitarbeiter ein Kängurukostüm anzieht. Der Mensch in Tierverkleidung wird zum Spektakel wie die Käfigkreaturen, zu deren trauriger Erhabenheit seine Albernheit ein erniedrigender Kontrast ist. Die Ambivalenz von Ästhetisierung und mit ihr einhergehender Zerstörung wird am deutlichsten in den Arbeitsräumen eines Präparatoren. In der Werkstatt voll knöcherner Schädel und abgestellter Präparate werden die Häupter von Hornträgern an den Wänden zu bedeutungslosen Trophäen überflüssigen Tötens.

Es ist die erste Dokumentation auf dieser Berlinale. Obwohl der Regisseur ihr den Status einer Reportage nicht ganz zugesteht, besitzt Bestiaire das Potential zu einem der intensivsten der nicht-fiktionalen Beiträge. Ihre kalte Sachlichkeit findet Allegorien in unscheinbaren Details der Käfig- und Handlungsräume. Das Abweisende und Beklemmende von Tierhaltung, wie artgerecht sie auch immer erscheinen mag, zeigt sich selbst dort, wo Bäume und hohes Gras die Illusion freier Wildbahn erschaffen. Subtile Gleichnisse zeigen Mensch und Tier gleichsam umgeben von Zäunen. Nur sind erstere sich der Gefangenschaft (meistens) nicht bewusst.

(Festivalkritik Berlinale 2012 von Lida Bach)

Bestiaire

Schönheit liegt im Auge des Betrachters und dieses Auge ist menschlich. Es blickt auf das Tier, scheint jede seiner Regungen zu studieren und studiert tatsächlich doch nur seine Reglosigkeit. Das Objekt ist kein Tier, sondern dessen Attrappe. Ein Präparat, täuschend echt bis auf die Bewegungslosigkeit, ist das starre Betrachtungsobjekt einer kleinen Gruppe.
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