Bauer unser

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Die letzte Sau

„Der Zwang zum Wachsen erfasst jetzt auch den Letzten.“ Dieser O-Ton gleich zu Beginn von Bauer unser gibt sofort die Stoßrichtung des ersten langen Dokumentarfilmprojekts von Robert Schabus vor. Der Oberkärntner Filmemacher, der selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, hat jede Menge Ahnung von dieser unglaublich komplexen Materie namens „EU-Landwirtschaft“. Ganze drei Jahre lang hat der er an diesem „Herzensprojekt“, wie er seinen fertigen Film bei der österreichischen Kinotour im vergangenen Herbst mehrfach bezeichnete, gearbeitet. Um bäuerliche Arbeit und insbesondere aktuelle Perspektiven, Herausforderungen sowie Zwänge und Risiken jener krisengeschüttelten Branche geht es dann auch in Bauer unser: Ebenso präzise wie unprätentiös erzählt, 92 relativ kurzweilige Minuten lang.
Dass dabei der scheinbar allmächtige EU-Arm des zuständigen „Kommissars für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung“ besonders lang ist, im Sinne von uneingeschränkt agierend, bestens gepolstert durch milliardenschwere Lobbyarbeit aus den Reihen der überaus undurchsichtigen Agrarindustrie im Hintergrund und obendrein mit dem größten Haushaltgeld des gesamten EU-Topfs ausgestattet, ist so neu sicherlich nicht. Trotzdem lohnt es sich gerade aus der Perspektive konventioneller Kleinbauern wie landwirtschaftlicher Öko-Mini-Erzeugergemeinschaften immer noch immens, in der breiten Öffentlichkeit darauf hinzuweisen – und erst recht aus der Sicht eines engagierten Dokumentarfilmers: Nichts anderes ist Robert Schabus als verantwortlicher Autor des Films, der nicht ganz zufällig von Helmut Grassers Allegro Film produziert wurde.

Bereits mehrere aufrüttelnde Dokumentarfilmarbeiten, die allesamt um Lebensmittel und Landwirtschaft (We Feed the World), den globalen Finanzsektor (Let’s Make Money) oder nachhaltige Ökologie (More than Honey) kreisten, hat die Wiener Filmschmiede in die deutschsprachigen Kinos gebracht: In der Regel übrigens auch ziemlich gewinnbringend, was sich seit dem österreichischen Kinostart von Bauer unser im vergangenen Jahr – mit momentan gut 80.000 Zuschauern – nun ein weiteres Mal zu wiederholen scheint. Nur ein einziger Film hatte 2016 mehr Kinopublikum in der Alpenrepublik als diese Produktion, was doppelt heraussticht!

Denn zum einen handelt es sich bei Bauer unser um einen gut konstruierten, sicherlich nicht hochklassigen, jedoch gerade im Dickicht der Wirtschaftsvokabeln à la „Investitionsvolumen“ oder „Tierausfall“ wohl temperierten, überaus verständlichen Dokumentarfilm, bei dem man obendrein noch lernen kann, wieso das Gros der Kunden am Ende – trotz Öko-Touch im Herzen und vielfach immer noch alten Preismustern im Kopf folgend – dann eben doch zum aller grindigsten, sprich in erster Linie billigsten, Produkt (z.B. bei der Milchtüte) greift. Genau dieses Denk- wie Verhaltensmuster wird beispielsweise als „kognitive Dissonanz des Kunden“ beschrieben, nur eine Vokabel aus dem neuesten Marketing-Sprech der Lebensmittelindustrie, die nach dem Ende des Abspanns im Hirn des Betrachters hängen bleibt.

Und zum anderen gelten Landwirte nicht gerade als besonders militantes Kinopublikum, das reihenweise die Lichtspieltheater stürmen würde. Denn im Grunde hätten sie dafür, auch das lehrt Schabus’ Film, eigentlich überhaupt keine Zeit: Viel zu sehr sind hunderttausende EU-Landwirte tagein tagaus mit ihrer zehrenden Arbeit beschäftigt, genauso wie mit der Abzahlung längst fälliger Kreditraten – oder gar mit einem Selbstmordversuch als finale Option. In Frankreich beispielsweise ist die Suizidrate unter Vertretern des – nach außen hin so stolzen – Bauernstandes signifikant hoch und legt sogar seit mehreren Jahren unentwegt zu.

Viele von ihnen kommen irgendwann aus diesen von ganz oben verordneten Globalisierungsmantras des zuständigen EU-Kommissars (u.a. „Wachsen-oder-Weichen“, „Monokultur-heißt-der-Ausweg“, „Das-ist-alles-lediglich-eine-Frage-der-Technik-wie-der-Maschinen“) nie mehr heraus, verschulden sich weiter – oder zahlen schlussendlich sogar noch pro Schwein freimütig um die acht bis neun Euro drauf: nur um des Produzieren willens. Denn offen schämen will sich keiner in dieser arg abgeschotteten Branche.

Auch das erfährt der Betrachter – bisweilen sogar ungewohnt offen – von einigen Protagonisten in Robert Schabus’ alles in allem ordentlicher Beackerung des europäischen Landwirtschaftskomplexes. Allein noch einige filmisch frechere Öko-Einsprengsel mehr hätten dem fertigen Film sicherlich nicht geschadet. Diese kreativen Partikel hätten ihn hier und da sozusagen entschieden aufgelockert, damit das gedankliche Saatgut jenes engagierten Projektes wirklich hinausgeweht werden kann: Mitten hinein in unsere schöne neue (Agrar-)Welt.

Bauer unser

“Der Zwang zum Wachsen erfasst jetzt auch den Letzten.“ Dieser O-Ton gleich zu Beginn von „Bauer unser“ gibt sofort die Stoßrichtung des ersten langen Dokumentarfilmprojekts von Robert Schabus vor. Der Oberkärntner Filmemacher, der selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, hat jede Menge Ahnung von dieser unglaublich komplexen Materie namens “EU-Landwirtschaft“.
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