Azur & Asmar

Eine Filmkritik von Lida Bach

Blutsbrüder

„Ihr Blut hat die gleiche Farbe“, sagt Jenane (Sprecherin: Suzanna Nour) über Azur (Steven Kyman) und Asmar (Nigel Pilkington). Mit der gleichen Milch stillt sie die Kinder und erzählt ihnen die gleiche Sage: von einer Zauberfee, gefangen gehalten im Schwarzen Berg. Mit gleicher Faszination lauschen Azur und Asmar, die dennoch nicht gleich sind. Azur ist blauäugig, hellhäutig und Jenane seine Amme, Mutter des dunkelhäutige Asmar. Beide verstößt Azurs Vater und schickt seinen eigenen Sohn zu Ausbildung in die Stadt. Als Azur nach Jahren zurückkehrt, ist er ein Fremder in der einst vertrauten Umgebung, deren Sprache er verlernt hat und deren Menschen ihn aufgrund seiner Augenfarbe töten wollen. Getarnt als Blinder geht Azur auf die Suche nach der Fee, gleich Asmar. Doch der einstige Kindheitsfreund ist nun sein Rivale.
Azur und Asmar ist der erste allein Ocelots Geist entsprungene Film seit seinem außergewöhnlichem Spielfilmdebüt Kirikou und die Zauberin. Den dritten, die Contes de la Nuit stellte der französische Animationskünstler im diesjährigen Berlinale-Wettbewerb vor. Der Popularität des verspielten 3D-Geschichten beim Festivalpublikum scheint es mit zu verdanken, dass nach einem halben Jahrzehnt Azur und Asmar allem Anschein nach immerhin in Deutschland auf einer DVD erscheint, lange hatte es sogar nach einem Kinostarts ausgesehen. Das gleichnishafte Zaubermärchen markiert den Beginn von Ocelots Faszination mit der 3D-Technik. Der scheinbare Widerspruch von zweidimensionalen Bildern und dreidimensionaler Optik löst sich erst auf, wenn die handgezeichneten Hintergründe auf der Leinwand erstrahlen. Hell und Dunkel verschmelzen zu Arrangements von ungeheurer Farbintensität und Leuchtkraft. Die bis in kleinste Nuancen ausgearbeiteten Szenarien erinnern an bewegte Kollagen, die statt eines Filmprojektors eine Laterna Magica auf die Leinwand wirft.

Zu Beginn irritieren die scherenschnittartigen Bilder, aus denen die Charaktere wie Pop-up-Figuren hervorstechen. Die Protagonisten scheinen sich auf den Szenarien zu bewegen statt darin, losgelöst von ihrem Umfeld, gleich Schauspielern, die vor einem gemaltem Bühnenhintergrund stehen. Der ungewöhnliche Stil verlangsamt den Erzählfluss unweigerlich und Ocelot ist zu fasziniert von den eigenen visuellen Spielereien, um ihn voranzutreiben. So gefangen genommen scheint er von seinem detaillierten Fantasiereich, dass er vergisst, es für andere zu öffnen. Mögen die beiden Helden auch durch exotische Landschaften streifen und immer neuen Charakteren begegnen, die oft willkürlich aus dem Nichts auftauchen: Ihre epische Suche bleibt eine träge Lektion in Moral. So universell und altbekannt ist die Botschaft von Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit von ethnischen Vorurteilen, dass sie mehr anbiedernd denn engagiert wirkt.

Unter der zeichnerisch und erzählerisch glatten Oberfläche verbirgt die simple Parabel ihre Brüche. Obwohl sich eine religiöse Thematik angesichts der westlich-europäisch und arabisch anmutenden Handlungsstätten und des Entstehungszeitpunkts aufdrängt, ignoriert Ozelot die Kontroverse. Identifikationsfigur ist vorrangig der hellhäutige Azur, dem die arabisch sprechende Bevölkerung ablehnend begegnet. Das Fremde zeigt sich feindselig, verwirrend und beherrscht von irrationalen Ängsten. Weil Azurs blaue Augen von den Anwohnern als böses Omen nahenden Unglücks gedeutet werden, ist er gezwungen, eine Augenbinde zu tragen. Vordergründig ist die selbstauferlegte Sehunfähigkeit Metapher für ethnische (Farben-)Blindheit. Unterschwellig drängen sich Assoziationen mit fundamentalistischen Gesellschaftsstrukturen, insbesondere dem erzwungenem Bedecken des Körpers und archaischen Strafen – Azurs symbolische Blendung – auf. Zuvor Bedienstete, ist Asmars Mutter in ihrem Heimatland urplötzlich eine Edelfrau, als habe der eigene Kulturkreis sie für ihre Rückkehr materiell belohnt. Proklamatisch vertritt sie eine offene Geisteshaltung.

Im Widerspruch dazu steht die an mittelalterliche Ritterepen angelehnte Handlungsstruktur, in der Charakteradel durch Heroismus und Kampfgeist errungen wird. Der belehrende Grundton verwandelt Azur und Asmar in pittoreske Monotonie, die Kinder langweilt, während die ambivalente Moral und das naive Happy Ende auf Ältere irritierend wirken. „Alle Märchen sollen so enden“, sagt einmal die kleine Prinzessin Chamsous Sabah (Fatma Ben Khell), die Azur auf seiner Suche hilft. Vielleicht, weil die Realität niemals so endet.

Azur & Asmar

„Ihr Blut hat die gleiche Farbe“, sagt Jenane (Sprecherin: Suzanna Nour) über Azur (Steven Kyman) und Asmar (Nigel Pilkington). Mit der gleichen Milch stillt sie die Kinder und erzählt ihnen die gleiche Sage: von einer Zauberfee, gefangen gehalten im Schwarzen Berg. Mit gleicher Faszination lauschen Azur und Asmar, die dennoch nicht gleich sind.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen