August Winds

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Leben, Liebe, Tod

August Winds, der erste fiktionale Spielfilm des Brasilianers Gabriel Mascaro, ist ein Film der Vergnügen und Schaulust bereitet, ein poetisches Stück ethnographischer Poesie voller ruhiger Erregung und Vergänglichkeit. Statt einer linearen Geschichte folgt man anekdotischen Reflektionen über Leben, Tod und Erinnerung in einem Küstendorf im Norden Brasiliens. Dabei sind viele Einstellungen von einer derart profunden Schönheit, dass man sich einfach nur zurücklehnen mag und das Kino-Sonnenbad genießen will. Aber Vorsicht, denn hinter dem Paradies verbirgt sich ein existentieller Konflikt.
Man folgt Shirley und Jeison, einem Paar mit entgegengesetzten Interessen, das zusammen auf einer Kokosnussplantage arbeitet. Shirley ist eine gelangweilte und ruhelose Frau, voller Lebensdrang und Begehren, die davon träumt Tattoos zu stechen und sich dafür einmal an einem Schwein ausprobiert. Außerdem pflegt sie ihre Großmutter und cremt sich in einer Szene, die Coca-Cola eigentlich für Werbezwecke kaufen müsste, mit dem entsprechenden Getränk aus einer Dose am ganzen Körper ein als sie sich auf einem Fischkutter sonnt. Dabei hört sie „Kill Yourself“ von The Lewd… Zwischen Kokosnüssen und Cola entsteht so ein Bild der rebellischen und sinnlichen Lust, das auf hypnotisierende Weise mit Bild und Ton korrespondiert. Für Jeison werden aber mehr und mehr andere Dinge relevant.

Denn während sich die junge Frau für das Leben begeistert und danach lechzt, ist es der Tod, der den stillen Jeison inspiriert. Die titelgebenden Winde werden nicht nur von einem plötzlich auftauchenden Tontechniker aufgezeichnet, sondern schwemmen auch eine Leiche ans Ufer. Jeison wird das Schicksal von Geist und Körper des Mannes fast manisch untersuchen. Während Shirley die Mysterien des Lebens jenseits des heruntergekommenen Dorfes vermutet, taucht Jeison im wahrsten Sinne des Wortes ein ins Verderben und die Geheimnisse seiner Umgebung. Seine Entdeckungen des Todes konfrontieren den jungen Mann mit seiner scheinbar nichtigen Existenz im verlassenen Dorf. Auf einer fast symbolischen Ebene erzählt Mascaro so einen Liebesfilm zwischen dem Leben und dem Tod, Zukunft und Vergangenheit.

Dabei lässt der Regisseur ein bisschen zu wenig Raum für Banalität und Einfachheit. Schließlich gibt es unter all den Beauty-Shots kaum ein gewöhnliches Bild im Film, obwohl genau in dieser Gewöhnlichkeit auch eine Schönheit stecken könnte. Außerdem würde das Banale dem bewusst Schönen im Film mehr Kraft verleihen und ein größeres Verständnis für die kontemplative Poesie von Natur und Arbeit ermöglichen. Jedoch versteht August Winds es, sich in vielen Momenten mit einem stillen, absurden Humor aus seiner visuellen Macht zu lösen. Insbesondere die anfänglichen Episoden rund um den Tontechniker beherbergen einen idyllischen Witz. Zudem versucht Jeison wiederholt, die Polizei wegen der Leiche zu kontaktieren. Immer wieder muss er den Polizisten erklären, dass er keine Adresse habe. Er beschreibt ihnen den Weg, aber niemand wird kommen.

In seinen besten Momenten entwickelt der Film einen Sog, der an Friedrich Wilhelm Murnaus Tabu erinnert. Das Paradies und das verlorene Paradies: Die Vermischung aus lyrischen Beobachtungen und einem fast dokumentarischen Auftrag ist eine weitere Parallele zwischen beiden Filmen. Schließlich vermittelt Mascaro hier ein realistisches Lebensgefühl von Menschen in einem ganz bestimmten Setting. Er tut dies allerdings mit einem ästhetischen Bewusstsein, das er mit seinem unheimlichen Auge für Bildgestaltung und Bewegung im Bild aus statischen Perspektiven antreibt. Immer wieder wirkt dabei die Natur größer als die darin verschwindenden Figuren. So sucht man in einer atemberaubenden Einstellung nach Menschen, die auf die riesigen Kokospalmen klettern.

In dieser ruhigen Harmonie liegt aber auch die Entfremdung für und zwischen den beiden Protagonisten. Mascaro baut daraus aber kein Drama auf, er lässt die Bilder sprechen und den Raum, der sich dazwischen auftut. Gegen Ende verdichtet sich August Winds zu einer Meditation auf den bedingungslosen Tod und die Erinnerung und das Vergessen. Wie ein Gefängnis mutet dann die Welt an, als hätten die Winde im August das Ende der Jugend herbeigebracht. Vielleicht ist es aber auch das Vergessen, das Träumen und die Zukunft, die in der Gischt der auslaufenden Wellen am Meeresufer der namenlosen Leichen mitschwimmen. So oder so stehen sie für die Zeit, die vergeht und doch immer da sein wird.

August Winds

„August Winds“, der erste fiktionale Spielfilm des Brasilianers Gabriel Mascaro, ist ein Film der Vergnügen und Schaulust bereitet, ein poetisches Stück ethnographischer Poesie voller ruhiger Erregung und Vergänglichkeit. Statt einer linearen Geschichte folgt man anekdotischen Reflektionen über Leben, Tod und Erinnerung in einem Küstendorf im Norden Brasiliens.
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