Auf der Suche nach dem Gedächtnis

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die fröhliche Wissenschaft

Kaum zu glauben, dass so ein Rockstar aussieht. Und doch wird Eric Kandel an einer Stelle des Filmes als „Rockstar der Gehirnforschung“ bezeichnet. Ein Prädikat, das zwar ein wenig in die Irre führt, aber Kandels enorme Bedeutung und Popularität innerhalb der „scientific community“ auf den Punkt bringt. Petra Seeger hat einen der bedeutendsten Hirnforscher unserer Zeit, der zudem im Jahre 2000 den Nobelpreis erhielt begleitet und entwirft in ihrem Film Auf der Suche nach dem Gedächtnis ein ebenso schlüssiges wie spannendes Porträt eines außergewöhnlichen Menschen.
Kandel wurde 1929 als Sohn jüdischer Eltern in Wien geboren, sein Vater besaß ein Kurzwaren- und Spielzeuggeschäft am Kutschkermarkt in Wien-Mähring. Wie er selbst bekennt, deutete damals wohl kaum etwas darauf hin, dass er einmal eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen würde. Doch dann folgten das Grauen der Verfolgung und die Erfahrungen in der Nazi-Zeit. Und mit ihnen ein Einschnitt, der Kandels Leben prägen sollte und bis heute beeinflusst. 1939, kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges floh die Familie nach New York und überlebte so. Vergessen konnten sie das Trauma aber nie. Und für Eric Kandel, der in den Genuss eines Harvard-Stipendiums kam, wurde die Suche nach Erklärungen für das menschliche Verhalten und die Struktur des Gedächtnisses zum Antrieb für seine Forschungsarbeiten. Nachdem er sich zunächst mit Literatur und Geschichte beschäftigt hatte, wandte sich Kandel den Neurowissenschaften und der Psychiatrie zu. Doch gegen Ende seines Studiums entschied sich der Gelehrte um und forschte von nun an auf dem Gebiet der neuronalen, biologischen und elektrochemischen Prozesse des Gedächtnisses – eine Disziplin, die damals zu Beginn der 1950er Jahre noch in den Kinderschuhen steckte. Den entscheidenden Durchbruch brachten schließlich die Arbeiten mit dem Kalifornischen Seehasen (Aplysia californica), einer Meeresschnecke, deren neuronales System sehr einfach aufgebaut ist und deren Neuronen zudem extrem groß sind. Ein ideales Forschungsobjekt also. Auch wenn Kandel selbst im Film einmal behauptet, im Laufe seines Forscherlebens der Aplysia californica immer ähnlicher geworden zu sein. Spricht’s und scheint sich im nächsten Augenblick über seinen Witz vor Lachen auszuschütten.

Überhaupt scheint der Humor eine von Eric Kandels bevorzugten Strategien zu sein. Immer wieder erleben wir den Nobelpreisträger als witzigen Mann voller Geist, Esprit und Bildung, ein Mann, der trotz seiner Erfolge durch und durch sympathisch bescheiden, ja beinahe demütig geblieben ist. Ob im Kontakt mit seinen Mitarbeitern im Institut, im Kreise seiner Familie oder auf Spurensuche in Wien – Petra Seeger ist stets ganz nah dran an dem Forscher, der sich öffnet und bemerkenswert freimütig von seinem Leben, seinen Erfahrungen, seinen Erfolgen und Niederlagen spricht.

Das eigentliche Faszinosum dieses Films besteht aber nicht allein in der persönlichen Ebene, sondern vor allem darin, wie sich hier Biographie und Biologie, eigene Erfahrungen und wissenschaftliche Forschung gegenseitig bedingen und beeinflussen. In seiner 2006 erschienenen Autobiographie brachte es Kandel auf den Punkt – und wiederholt seine Überzeugung im Film: „Ich bin davon überzeugt, dass mein späteres Faible für den menschlichen Geist — dafür, wie sich Menschen verhalten, wie unberechenbar ihre Motive und wie dauerhaft Erinnerungen sind — auf mein letztes Jahr in Wien zurückgeht. Nach dem Holocaust lautete das Motto der Juden: „Niemals vergessen!“ , wachsam gegen Antisemitismus, Rassismus und Hass zu sein. Meine wissenschaftliche Arbeit widmet sich den biologischen Grundlagen dieses Mottos: den Prozessen im Gehirn, die uns zur Erinnerung befähigen.“

Dass dies nicht nur Worte sind, sondern tiefste Überzeugung, macht der Film immer wieder augenfällig: Wenn die jungen Forscher aus Kandels Institut in einer Sequenz des Films die Zusammenhänge zwischen Raumerfahrung und Gedächtnisleistung bei Mäusen erläutern und ihr Chef im nächsten Moment als „menschliches Versuchstier“ diese Erkenntnisse bei seiner Erkundungstour in die eigene Vergangenheit demonstriert, dann ist das einer der Momente, in denen Gehirnforschung so greifbar, verständlich und einleuchtend wird, wie dies nur selten gelingen dürfte.

Diese verborgenen Verbindungen macht Auf der Suche nach dem Gedächtnis auf luzide Weise deutlich – und ragt damit weit über ähnliche Porträts hinaus. Wissenschaftsdoku, Erinnerungsdrama und eine ebenso unterhaltsame wie bewegende und informative Studie über das menschliche Gedächtnis – so viel kann ein Film in gerade mal 95 Minuten leisten. Was vor allem dem Porträtierten selbst zuzuschreiben ist.

Wenn wir die Forscher aus Kandels Institut vor den Monitoren stehen sehen, auf denen sich gerade Synapsen miteinander verknüpfen, dann ist das wahrhaft ein Moment, in dem einen als Zuschauer so etwas wie tief empfundene Ehrfurcht vor den Wundern des menschlichen Geistes erfassen kann. Und Bewunderung für diesen Mann mit dem unwiderstehlichen Lachen.

Auf der Suche nach dem Gedächtnis

Kaum zu glauben, dass so ein Rockstar aussieht. Und doch wird Eric Kandel an einer Stelle des Filmes als „Rockstar der Gehirnforschung“ bezeichnet. Ein Prädikat, das zwar ein wenig in die Irre führt, aber Kandels enorme Bedeutung und Popularität innerhalb der „scientific community“ auf den Punkt bringt.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

mistake_finder · 05.06.2011

Hihi, da ist ein Rechtschreibfehler im Trailer!! Min. 1:10, es muss "bedeutendste" heißen, nicht "bedeutenste"! Wenn das der Nobelpreisträger wüsste. Würde bestimmt lachen:D

florian Soldner · 18.07.2009

wo, steht denn auf dieser Seite, wann der film denn nun im Gloria läuft?

Stephan Winkler · 02.05.2009

Wäre toll, wenn Ihr auch einen LINK zu Filmseite setzten würdet.

Herzliche Grüße aus Köln
Stephan Winkler