Art/Violence

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Kunst/Überleben

Das Theater lebt. Diese Feststellung ist kein kulturpolitischer Allgemeinplatz aus dem Feuilleton, sondern eine erstaunliche und erfreuliche Tatsache, wenn es um das Freedom Theatre in Jenin geht. Sein Gründer, der israelisch-palästinensische Friedensaktivist und Regisseur Juliano Mer-Khamis, wurde im April 2011 direkt vor dem Theater im palästinensischen Flüchtlingslager erschossen. Zwei ehemalige Schauspielschülerinnen von Mer-Khamis präsentieren nun gemeinsam mit dem israelischen Regisseur Udi Aloni mit ihrem Dokumentarfilm Art/Violence ein lebendiges Zeugnis vom Überleben der Kunst.
Art/Violence ist eine filmische Collage mit Ausschnitten aus Theaterproduktionen, dokumentarischen Einblicken in die Probenarbeit, Interviews und Beobachtungen, Schauspieler-Statements direkt in die Kamera, rezitierten Texten aus dem Off, Animationen, Hip-Hop-Clips und Rückblicken. Das vielfältige Material kreist um das zentrale Thema: Kunst als Widerstand. Kann sie bestehen? Gar etwas erreichen? Erschüttert durch die Ermordung des Lehrers, Mentors und Freundes scheinen die beiden jungen Schauspielerinnen Batoul Taleb und Mariam Abu Khaled, aber auch der gestandene Udi Aloni sich ihres Standpunktes künstlerisch und dokumentarisch versichern zu wollen.

„Juliano holte uns auf die Bühne und da bleiben wir auch“ sagt Mariam Abu Khaled trotzig. Trotzig im Sinne von: den Widerständen trotzend, sich nicht entmutigen lassen von der palästinensisch-israelischen Realität. Für Warten auf Godot, die erste Produktion des Freedom Theatres nach Mer-Khamis Tod, haben sie die Rollen nicht nur doppelt, sondern besser gleich dreifach besetzt – falls ein palästinensischer Schauspieler willkürlich verhaftet wird.

„Juliano zeigte mir, was Freiheit ist“ sagt Batoul Taleb. Dabei geht es nicht nur um die große politische Freiheit. Hinter den Kulissen im Freedom Theatre wird auch über Frauenrechte diskutiert. In der Neuinterpretation von Warten auf Godot werden Männerrollen mit Frauen besetzt und Becketts Zeilen „Wir haben keine Rechte mehr.“ – „Wir haben sie aufgegeben.“ erhalten plötzlich eine neue Bedeutung.

Die Montage von Art/Violence arbeitet solche neuralgischen Punkte heraus und verstärkt sie. Kunst und Realität werden in Bezug gesetzt. Wenn ein Schauspieler erzählt, wie er plötzlich verhaftet und für 30 Tage ins Gefängnis gesteckt wurde (ohne dass er sein Godot-Script zum Lernen seiner Rolle mitnehmen durfte), dann schließt sich in der Montage eine inszenierte Szene an, in der der palästinensische Schauspieler gefesselt wird und mit verbundenen Augen Shakespeares Kaufmann von Venedig rezitiert: „Was hat er für einen Grund? Ich bin ein Jude“.

Solche Szenen, die Theater und Realität in vielfältige Resonanz bringen, gehören zu den stärksten Momenten des Films, der an der dramaturgischen Oberfläche nacheinander drei Produktionen des Freedom Theatres vorstellt: Alice im Wunderland, Warten auf Godot und Antigone. Nebenbei entstehen angerissene Portraits der Schauspieler in ihrem Alltag als Künstler in unsicheren Umständen. Das wahre Kraftzentrum des Films jedoch ist Mer-Khamis selbst, obwohl nur in wenigen Rückblenden und in Worten aus dem Off präsent. Seine 12-jährige Tochter Milay eröffnet zu Filmbeginn den Reigen der Statements in die Kamera. Diese Statements sind sehr persönlich, werden dabei aber mit schauspielerischer Professionalität abgeliefert. Inszenierung durchdringt die dokumentarische Realität. Die Schauspielerinnen machen ihrem Lehrer alle Ehre.

Art/Violence, diese filmische Collage, die so vieles ist – persönliche Trauerarbeit, künstlerische Verarbeitung, Talentprobe und Dokument einer Ausnahmesituation – ist letztendlich vor allem eine Hommage an Juliano Mer-Khamis und das Versprechen, sein Vermächtnis lebendig zu halten.

Der Mord an Mer-Khamis (der auch in Marcus Vetters Dokumentarfilm Cinema Jenin als tragisches Ereignis hereinbricht) wurde bis heute nicht aufgeklärt.

Art/Violence

Das Theater lebt. Diese Feststellung ist kein kulturpolitischer Allgemeinplatz aus dem Feuilleton, sondern eine erstaunliche und erfreuliche Tatsache, wenn es um das „Freedom Theatre“ in Jenin geht. Sein Gründer, der israelisch-palästinensische Friedensaktivist und Regisseur Juliano Mer-Khamis, wurde im April 2011 direkt vor dem Theater im palästinensischen Flüchtlingslager erschossen.
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