Anduni - Fremde Heimat

Eine Filmkritik von Paul Collmar

Woher und wohin?

Manchmal ist es gar nicht so einfach zu erklären, wo man eigentlich herkommt. Und das liegt nicht unbedingt daran, dass die familiäre Herkunft besonders verzwickt wäre, sondern machmal eben auch an der Tatsache, dass man sich selbst der eigenen Wurzeln gar nicht gewahr ist. Diese Erfahrung muss auch Belinda (Irina Potapenko) machen, eine junge Kölnerin, die wohl das ist, was man bestens integriert nennt. Doch das, was sie heute an Freiheiten genießt, hat sie sich auch gegen den Widerstand ihrer armenischen Familie erkämpfen müssen. Ihr Auszug aus dem elterlichen Heim konnte vor allem deshalb geschehen, weil sie ihr Studium vorschob, das sie eigentlich gar nicht richtig ernst nimmt. Die eigene Großfamilie ist für Belinda trotz aller Zuneigung eher eine Ansammlung skurriler Gestalten und wirrer Geschichten über eine Heimat, die sie gar nicht kennt, gar nicht kennen kann, die ihr schon immer fremd war.
Das alles ändert sich erst, als Belindas Vater stirbt und die Familie nun unter dem Eindruck des Verlustes enger zusammenrückt. Unwillkürlich gerät auch Belinda nun verstärkt in den Bannkreis ihrer Verwandten und entfernt sich dadurch fast zwangsläufig von ihrem deutschen Freund Manuel (Florian Lukas), der gerade in einer Lebenskrise steckt und weg will aus Köln. Es scheint so, als ließen sich die beiden Pole in Belindas Leben nicht so ohne weiteres miteinander verbinden – eine Erfahrung, die viele Kinder von Migranten in dieser oder anderer Form machen dürften. Und so bricht Belinda schließlich in die Türkei auf, um hier etwas über ihre Herkunft zu erfahren – man ahnt schnell, dass diese Reise sie verändern wird.

„Anduni“ ist ein Wort aus dem Armenischen und bedeutet „heimatlos“. Als Titel dieses Films und als geheimes Motto der filmischen Erzählung von Samira Radsi nach einem Drehbuch von Karin Kaçi passt dieses Wort ausgezeichnet zu der Selbstfindungsgeschichte, die sich hier entwickelt. Heimatlos ist nicht nur Belinda, sondern auch ihre ganze Familie, denn die Last der tragischen Geschichte Armeniens lastet wie ein bleiernes Gewicht auf den Schultern von Belindas Familie und damit auch auf ihren. Weil traumatische Erlebnisse, besonders solche, die niemals aufgearbeitet wurden, dazu neigen, von Generation zu Generation weitergegeben zu werden.

Bisweilen merkt man Anduni – Fremde Heimat durchaus ein wenig an, dass es sich hierbei um das Kinodebüt von Samira Radsi handelt, die zuvor eher im TV-Bereich gearbeitet und einige Kurzfilme realisiert hat. Manches an der eigentlich nicht sonderlich komplexen Geschichte wird zur Sicherheit zwei- oder dreimal erklärt. Und gerade in der ersten Hälfte des Films kommt man nicht umhin, immer wieder Szenen zu begegnen, die man so oder ähnlich schon in anderen Filmen zum Thema Migration gesehen hat und die mitunter nach hinlänglich bekannten Klischees riechen.

Andererseits zeigt die Erfahrung häufig genug, dass das Leben immer noch die besten Klischees bereithält, dass in der Realität manches so überzeichnet ist, dass man es auf der Leinwand nicht mehr als echt hinnehmen kann. Und Hand aufs Herz: Wer verfügt schon über so viel Einblick in die Strukturen und Umgangsweisen einer Familie wie der von Belinda, um in jeder Szene haarscharf trennen zu können zwischen notwendiger Verdichtung und unnötiger Verallgemeinerung.

Vor allem am Ende des Films, wenn Belinda in ihre „Fremde Heimat“ aufbricht, gelingt es Samira Radsi, die bekannten Pfade ähnlicher Filme zu verlassen – wie ihre Protagonistin, so tut auch der Filmemacherin der Aufbruch in neue Regionen sichtlich gut. Sollte es ihr künftig gelingen, die Fesseln des Wohlbekannten und allzu Vertrauten häufiger abzustreifen, täte das ihrer künstlerischen Entwicklung sicherlich gut.

Als weiterer Beitrag zu einem sich gerade herausschälenden „Kino der Migration“ in Deutschland liefert Anduni – Fremde Heimat einen mit Abstrichen überzeugenden Beitrag, dessen Balance zwischen Komik und Ernsthaftigkeit für einen neuen Ton innerhalb der kinematographischen Debatte sorgt.

Anduni - Fremde Heimat

Manchmal ist es gar nicht so einfach zu erklären, wo man eigentlich herkommt. Und das liegt nicht unbedingt daran, dass die familiäre Herkunft besonders verzwickt wäre, sondern machmal eben auch an der Tatsache, dass man sich selbst der eigenen Wurzeln gar nicht gewahr ist.
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