American Honey

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

A woman went looking for America ... and couldn't find it anywhere

American Honey ist ein Road Movie, das ins Milieu – fast möchte man schon sagen in die Subkultur – einer Drückerkolonne eintaucht, die im ländlichen Amerika mit allen Mitteln versucht, Abonnements für Magazine und Zeitschriften an den Mann und die Frau zu bringen. Geleitet wird diese Truppe von Krystal (Riley Keough), einer eiskalten und enorm abgezockten Mittzwanzigerin, die den amerikanischen Traum auf ihre ganz eigene Weise lebt: Unter ihrem Kommando stehen jugendlichen Drop-outs, Ausreißer und junge Heranwachsende ohne Perspektive, denen sie den Job als Partyspaß mit der Aussicht auf das große Geld verkauft. Wobei bei der ganzen schmierigen Nummer vor allem sie selbst verdient – und vielleicht noch Jake (Shia LaBeouf), ihr Starverkäufer, der auch vor krummen Touren nicht zurückschreckt. Als dann die gerade 18 Jahre alt gewordene Star (Sasha Lane) ihren schwierigen familiären Verhältnissen entflieht und sich der Drückerkolonne anschließt, bekommt die Geschichte eine Eigendynamik: Star verliebt sich in Jake und ist zudem nicht bereit, bei den ganzen Lügen und Tricksereien der Gruppe mitzumachen.

Fast drei Stunden lang ist Andrea Arnolds neuer Film geraten – und wenn man diesen Film sowohl auf der rein erzählerischen als auch auf der Figurenebene betrachtet, kann man eigentlich nicht umhin, ihn in beiderlei Hinsicht als misslungen betrachten. Die Narration mit der eingewobenen Liebesgeschichte zwischen Star und Jake führt recht schnell und deutlich in eine Sackgasse. Von den Charakteren gewinnt außer Star und mit einigen Abstrichen Krystal und Jake kaum jemand aus der Truppe an Profil und Tiefe. Und doch greift genau solch eine Betrachtung zu kurz. In manchen Momenten erscheint die Drückerkolonne fast wie eine sektenähnliche Gemeinschaft, die statt einem Gott oder Guru sich hier vor allem einem Götzen verschrieben hat – dem Geld. Davon wollen alle möglichst viel und auf die denkbar einfachste Weise, gerne auch mit Lug und Trug. Verkaufen, verkaufen, verkaufen, egal was, egal an wen, einfach nur den nächsten Abschluss klarmachen und dann weiterziehen. Im Prinzip erinnert das an die Heuschrecken-Mentalität von Hedgefonds, nur eben etliche Stufen darunter.

Es ist ein dreckiges, ländliches, zutiefst rückständiges und fast schon barbarisches Amerika, das Andrea Arnold hier zeigt. Im ehemaligen Land der unbegrenzten Möglichkeiten herrscht nach dem Ende des industriellen Zeitalters eine entfesselten Dienstleistungs- und Verkaufsmentalität, bei der die eigentliche Ware völlig egal geworden ist: Ob es um Benzin geht, Lebensmittel, industriell gefertigte Gebrauchsgüter, um Zeitschriften oder um Sex, um Sozialkontakte und nur die Illusion davon, das ist hier völlig gleichgültig und austauschbar geworden. Klar, dass in solch einer Gesellschaft jegliche Form von Zuneigung, Solidarität oder Liebe gar nur solange einen Wert besitzen, solange sie dem Einzelnen für seine persönlichen Ziele dienlich sind.

Dies alles erzählt Andrea Arnold nicht aus, sondern flicht es subtil ein in ihre exzellenten Bilder, in die Auswahl der Musik, die von Trap-Music (einer besonders harten HipHop-Variante aus den Südstaaten) über Country-Gassenhauer bis hin zu Springsteen-Songs reicht. Dadurch wird einen Referenzrahmen eröffnet, der dem eigentlich recht kargen und gelegentlich lyrisch wundervoll abschweifenden Film einen eher atmosphärischen denn intellektuellen Subtext verleiht, der sich auch auf die filmische Ebene erweitern lässt: Robert Franks fotografische Sozialreportagen The Americans scheinen hier ebenso Pate gestanden zu haben wie Larry Clarks Kids und Harmony Korines Spring Breakers. Und ein klein wenig erinnert American Honey im Sinne eines Lost-Generation-Porträts sogar an Easy Rider: „A woman went looking for America – and couldn’t find it anywhere“ …

American Honey

„American Honey“ ist ein Road Movie, das ins Milieu – fast möchte man schon sagen in die Subkultur – einer Drückerkolonne eintaucht, die im ländlichen Amerika mit allen Mitteln versucht, Abonnements für Magazine und Zeitschriften an den Mann und die Frau zu bringen.

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