Alles was kommt (2016)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Und plötzlich ist alles anders

Und plötzlich, mitten im Leben, ist alles anders: Eben noch schien für die Philosophielehrerin Nathalie (Isabelle Huppert) alles in bester, bürgerlicher Ordnung zu sein: Seit 25 Jahren mit ihrem Mann (André Marcon) verheiratet, die Kinder mittlerweile erwachsen und aus dem Haus, das Lehrbuch über Philosophie in einem kleinen Verlag sorgt für Streicheleinheiten fürs Ego. Dazu ein junger Bewunderer, ein ehemaliger Schüler, der nun selbst Philosophie studiert und um ihren Rat fragt, wodurch sie sich selbst jung fühlt oder zumindest ein bisschen zugehörig zu den Diskursen der Jungen. So kann es weitergehen. Doch so geht es nicht weiter.

Knall auf Fall erfährt sie als Letzte in der Familie, was die Tochter längst weiß: Es gibt eine andere Frau im Leben des Vaters. Und von der Tochter zu einer Entscheidung gedrängt, verlässt er Nathalie, die zunächst gar nicht versteht, was da mit ihr passiert. Nun muss sie ihr Leben neu ordnen, denn auch die anderen Eckpfeiler ihres Daseins weisen plötzlich Risse und Brüche auf. Ihre Mutter (Elisabeth Scob), eine recht exzentrische Dame, wird zunehmend wunderlich, dann kränklich und depressiv und stirbt schließlich. Der Verlag ist nicht mehr zufrieden mit dem Verlauf des Buches und will etwas ändern. Und Fabien (Roman Kolinka), ihr junger Freund und Vertrauter, zieht weg von Paris, aufs Land in eine Kommune, und steht plötzlich nicht mehr als platonischer Trostspender bereit.

Nicht auszudenken, was für eine Herzschmerz-Schmonzette ein deutscher Regisseur hieraus womöglich gemacht hätte — in früheren Jahren hätte sicherlich Uschi Glas oder Senta Berger die Verlassene gespielt, in heutigen Tagen wohl eher Veronica Ferres. Man kennt das ja. Nicht so Mia Hansen-Løve, die seit ihrem letzten Film Eden mühelos eineinhalb Generationen übersprungen hat und sich nun den Malaisen einer Post-Midlife-Crisis widmet. Das macht sie très francais und ganz schön beiläufig und mit einem bekannten Zitat John Lennons als unsichtbarem Motto, das wie ein Schutzschild über Nathalie schwebt: „Live is what happens, while you’re busy making other plans“. Und so ist auch der Titel von Alles was kommt zu verstehen. Es passiert immer etwas Neues — und manchmal müssen dafür erst andere, vertraute Dinge gehen. Und am besten, man reagiert darauf mit Haltung und Gelassenheit — soweit einem dies eben möglich ist.

Folgt man Nathalies Vorliebe für Philosophie, so ist Alles was kommt vor allem eine Feier des Stoizismus und des am Buddhismus geschulten Fatalismus. Das muss man nicht unbedingt gut finden, weil es dem manchmal durchblitzenden revolutionär-jugendlichen Elan Nathalies, den sie immer noch in sich trägt, diametral entgegengesetzt ist. Und weil es bei aller Agilität der oftmals energisch ausschreitenden und austeilenden Philosophielehrerin zum Trotz dann doch den Eindruck saturierter Bürgerlichkeit vermittelt. Aber vielleicht ist das ja eine jener kleinen Beobachtungen und Miniaturen, die die Regisseurin für ihr Publikum bereithält: Der Schwung und die Begeisterungsfähigkeit sind Dinge, die im Alter langsam und fast unbemerkt abhandenkommen, so sehr man auch dagegen anredet und -philosophiert.

Will man es spitz formulieren, ist Alles was kommt zielgruppenoptimiertes Kino für die programmkinoaffine Zuschauerschaft 50+ vorwiegend weiblichen Geschlechts. Ein erstes und durchaus reifes Alterswerk der eigentlich noch recht jungen Filmemacherin Mia Hansen-Løve — und genau das überrascht dann doch.
 

Alles was kommt (2016)

Und plötzlich, mitten im Leben, ist alles anders: Eben noch schien für die Philosophielehrerin Nathalie (Isabelle Huppert) alles in bester, bürgerlicher Ordnung zu sein: Seit 25 Jahren mit ihrem Mann (André Marcon) verheiratet, die Kinder mittlerweile erwachsen und aus dem Haus, das Lehrbuch über Philosophie in einem kleinen Verlag sorgt für Streicheleinheiten fürs Ego.

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Meinungen

Martin Zopick · 26.02.2021

Die Zukunft.
Ein kleiner Film über den Alltag einer vierköpfigen Familie. Dabei dreht sich alles um Nathalie (Isabelle Huppert), die ein gutbürgerliches Leben führt. Die Schicksalsschläge wirken auf sie wie eine Befreiung: Ehemann Heinz (André Marcon) geht fremd, Oma Yvette (Edith Scop, Leinwandikone aus den 50er Jahren) muss ins Heim und stirbt bald darauf, sie selbst ist Lehrerin und veröffentlicht philosophische Abhandlungen, die plötzlich nicht mehr verlegt werden.
Unbeirrt schippert sie ihren persönlichen Kahn durch bewegte See und behält den Kopf dennoch über Wasser. Selbst ein sexloses Verhältnis mit ihrem Lieblingsschüler Fabien (Roman Kolinka) gestaltet sie nach ihren Vorstellungen. Die Huppert trägt den Film, der keinen Höhepunkt und kein Highlight hat und uns auch keine neuen Erkenntnisse bietet. Nachwuchsregisseurin Hansen-Love hat einen Mädels Film gemacht, der heute keinen mehr vom Hocker haut, versteht ihn aber wohl als Mutmacher. Ist heute nicht mehr nötig, obwohl der Originaltitel Die Zukunft lautet. Ja welche denn oder wessen Zukunft meint die Gute. Der deutsche Titel erinnert an Verkaufsslogans wie ‘Alles muss raus!‘ Damit kann man auch nichts anfangen. Nichts Neues an der Familienfront also. K.V.

Mark · 24.02.2021

Das Leben als intellektueller Planet? Was wäre die Welt doch ein düsterer Ort, wenn nur die Vernunft herrschen würde. Mensch sein bedeutet doch unendlich mehr! Man kann natürlich auch versuchen, von Ort zu Ort, von Mensch zu Mensch oder sich sonst dem Leben zu verweigern.
Der Film zeigt dich die unendliche Leere dieser.Seele von einem unerfüllten Leben. Aber soviel Intellekt lässt nichts anderes zu...traurig.

jo · 20.09.2020

Ein dem Leben abgeschauter Film. So läuft's. So kann's laufen, wenn man es laufen lässt, wenn man sich einrichtet im Leben und vertraut, vielleicht auch bequem wird, sich fokussiert, aufgeht in der Arbeit, sich um die Mutter kümmert, einen Parnter hat, von dem keine Initiative ausgeht... Alleine der Titel "Alles was kommt" - klingt banal, ist sehr hintergründig, man sitzt in seinem Leben und hat keine Ahnung, was da noch alles kommt. Wunderbar. Über Isabelle muss man nichts weiter sagen, dazu ein großartiges Ensemble, souverän gespielt, fünf von fünf Punkten.

Marc · 10.05.2020

Was ist die finale Botschaft des Filmes? Frauen über 55 arrangieren sich am besten mit/in ihrer Oma-Rolle. Reichlich reaktionär.

Laufi · 06.05.2020

Bis auf die philosophischen Gedankensnstöße belanglos.

Germe · 28.08.2016

Habe diesen Film gestern gesehen. Wie "heidrun rebensburg" möchte ich auch den "Acapella Chor aus dem Off" am Ende des Films herausstellen. Diese Vokalstimmen versöhnen. Heben über das unerwartete Ende des Films und vielleicht eines unglücklichen Lebens hinweg in eine andere Sphäre jenseits der Augen.

wignanek-hp · 25.08.2016

„Alles was kommt“ ist ein beeindruckender Film. der bis zur letzten Minute fasziniert, weil er nicht die ausgetretenen Pfade filmischen Erzählens benutzt, sondern eine eigene, sehr wahrhaftige Geschichte erzählt – beinahe hätte ich gesagt: bis zum Ende – aber ist da ein Ende? Ich denke, nein. Die Geschichte hört auf, ja, aber im Kopf des Zuschauers geht sie durchaus weiter. Was wird Nathalie in der Zukunft tun? Was sind ihre Ziele und Wünsche? Männer sind für sie keine Option, zumindest im Augenblick nicht. Sie zieht die episodenhaften Begegnungen mit ihrem jungen Schüler und seinen Freunden vor oder die familiären Treffen mit den Kindern. Da stört der Ex nur. Das ist wirklich eine eindrückliche Szene. Wird sie im Alter einsam sein und dann doch noch die Nähe eines Mannes suchen? Die Frage bleibt offen. Und dafür bin ich unendlich dankbar. Allzu oft wird ein Film durch Friede-Freude-Eierkuchen-Schlüsse kaputt gemacht. Dieser Film öffnet den Blick für die individuellen Wünsche des Einzelnen und diese können durchaus der Erwartungshaltung des Zuschauers diametral entgegengesetzt sein. Mit solchen Filmen macht Kino wirklich Spaß!

Maret · 25.08.2016

Nathalie, intelligent, very busy , sehr kühle Beziehungen , hat sie eigentlich reflektiert, was geschehen ist? Oder macht sie einfach wie bisher?
Mein Gefühl am Ende des Films: wie kühl diese Frau, welch trostloses Leben
kein guter Weg , nicht nachmachen

heidrun rebensburg · 21.08.2016

ich habe diesen film gesehen
wo kann ich erfahren die titel bzw. soundtracks zu diesen film?