Alles gut (2016)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Kinderschritte in einem fremden Land

Integration beginnt für Flüchtlingskinder mit dem ersten Tag in Deutschland. Während die Behörden noch monatelang prüfen, ob sie und ihre Eltern überhaupt im Land bleiben dürfen, versuchen die Kinder sehr schnell, in der neuen Umgebung Fuß zu fassen. Die Dreharbeiten zum ersten Kino-Dokumentarfilm von Pia Lenz begannen im Spätsommer 2015, als Kanzlerin Angela Merkel der Willkommenskultur mit ihrem Zuversichtsslogan „Wir schaffen das“ die Krone aufsetzte. Über ein Jahr lang hat Lenz, die auch die Kamera führt, zwei Flüchtlingsfamilien in Hamburg begleitet. Dabei richtete sie ihr Hauptaugenmerk auf zwei Kinder aus diesen Familien, den achtjährigen Roma-Jungen Djaner aus Mazedonien und die elfjährige Muslimin Ghofran aus Syrien.

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Lenz wird Zeugin des störungsanfälligen Prozesses der Integration und schildert ihn aus der Perspektive der Kinder und ihrer Familien. Dieser Prozess scheint in einem Fall zu gelingen und scheitert im anderen. Auch die Geflüchteten machen früh Bekanntschaft mit dem in Deutschland gerade inflationär gebrauchten Ausdruck „Alles gut“, übernehmen ihn in ihren Wortschatz. Doch obwohl er oft ermutigend und beruhigend gemeint ist, haftet ihm manchmal auch etwas Ignorantes oder gar Irreführendes an. Insofern scheint er das Dilemma der deutschen Flüchtlingspolitik zu spiegeln, die zwischen Menschenrechts-Prinzipien, gutem Willen und der Angst, klare Grenzen zu ziehen, schwankt.

Djaners und Ghofrans Geschichte verläuft von Anfang an konträr. Der Junge aus Mazedonien freut sich sehr, als ihn die Sozialarbeiterin der Flüchtlingsunterkunft zur nahe gelegenen Hamburger Grundschule bringt. Dort wird er in die zweite Klasse aufgenommen, die von deutschen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund besucht wird. Er ist eifrig bei der Sache und erhält viel Unterstützung von der Lehrerin und den Mitschülern. Ghofran hingegen, die mit ihrer Mutter und den drei Brüdern zum Vater nachreisen durfte, hat Angst vor der Schule in Deutschland. Sie kommt in eine Integrationsklasse, in der sie sich über türkische und arabische Schülerinnen wundert, die sich schminken und Rad fahren. Ghofran steht sehr widerwillig im Schulchor und verzehrt sich vor Heimweh.

Wenige Monate später hat Ghofran Rad fahren gelernt und singt begeistert im Chor. Ihr Vater strahlt, als er sie bei der Schulaufführung auf der Bühne sieht. Das Glück der Tochter gibt ihm Auftrieb, denn bei der Wohnungssuche stößt er gerade immer wieder an beunruhigende Hindernisse, hadert mit den vielen Absagen. Djaner hingegen hat sich in der Klasse zum Außenseiter entwickelt. Die Lehrerin und die Kinder klagen über sein aggressives Verhalten und sein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Oft steht Djaner allein im Schulhof. In seinem traurigen Blick drückt sich aus, wie sehr er sich im Stillen darüber den Kopf zerbricht, was ihn wohl alles von den anderen trennt.

Diese beobachtende Nähe der Filmemacherin zu den beiden Kindern dringt zu einer nonverbalen Ebene der Wahrhaftigkeit vor, die sehr berührt. Die Not des einsamen, verstörten Djaner ist mit Händen zu greifen, sie steht zwischen ihm und der Außenwelt. Seine alleinerziehende Mutter versteckt sich nach einem Polizeibesuch mit den beiden Söhnen vor der drohenden Abschiebung. Eilanträge werden gestellt, am Ende des Films ist die Familie auf unbestimmte Zeit auseinandergerissen.

Pia Lenz‘ Film ist sehr politisch, ohne selbst explizit Stellung beziehen zu müssen. Denn an der Not eines Kindes wie Djaner zeigen sich die Defizite der Flüchtlingspolitik. Einerseits will und soll sich ein Kind schulisch integrieren, andererseits aber muss es gleichzeitig die monate- oder jahrelange Angst der Eltern ertragen, vielleicht wieder abgeschoben zu werden. Es sieht so aus, als müssten Kinder für den gesellschaftlichen Eiertanz um missverständliche und unklar formulierte Regelungen büßen.
 

Alles gut (2016)

Integration beginnt für Flüchtlingskinder mit dem ersten Tag in Deutschland. Während die Behörden noch monatelang prüfen, ob sie und ihre Eltern überhaupt im Land bleiben dürfen, versuchen die Kinder sehr schnell, in der neuen Umgebung Fuß zu fassen.

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