Alberto Giacometti – Die Augen am Horizont (2005)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Jahrhundertgenie

Während Ferdinand Hodler als wichtigster Schweizer Künstler des 19. Jahrhunderts gilt, dürfte der Titel für das darauf folgende Jahrhundert ohne Zweifel Alberto Giacometti zustehen. Doch Giacomettis Ruhm strahlt weit über die Landesgrenzen der Schweiz hinaus, der Maler, Zeichner und Plastiker gilt auch in dem an Genies nicht gerade armen 20. Jahrhundert als Ausnahmeerscheinung und Künstler von Weltruf.

Sein Lebensweg war dem 1901 in Borgonovo in Graubünden geborenen Künstler allerdings schon vorgezeichnet, denn Alberto stammt aus einer berühmten Familie von Malern, sein Vater Giovanni gilt als bedeutender Impressionist und Symbolist, der die künstlerische Entwicklung seines Sohnes bereits von Kindesbeinen an förderte. Nach seinem Schulabschluss studierte Alberto an der Kunstakademie und an der Kunstgewerbeschule in Genf, 1922 zog es ihn dann nach Paris, wo er sich den Surrealisten anschloss. Allerdings dauerte diese Verbindung nicht lange an, schon bald entwickelte Giacometti seinen eigenen, unverwechselbaren Stil und arbeitete am liebsten in der Abgeschiedenheit und Ruhe seines Pariser Ateliers. Nach zahlreichen privaten Turbulenzen und einer Aufsehen erregenden Karriere verstarb der Pendler zwischen dem hektischen Paris und der beschaulichen Schweiz 1966 in Chur an den Folgen eines Herzinfarktes – sein exzessives Leben hatte Spuren in seinem Körper hinterlassen.

Giacometti war ein Künstler, der neben der bildnerischen und plastischen Arbeit auch noch schrieb, seine Schriften geben einen ungewöhnlich reichen und tiefen Einblick in sein Schaffen, sein Denken und seine Sicht der Kunst – und zwar sowohl der eigenen als auch der von anderen Künstlern. Oft sind es nur skizzenhafte Eintragungen, dann wieder Selbstreflexionen, Kritisches über Kollegen oder Aufzeichnungen von Erträumtem und Erlebtem. Diese „écrits“ bilden einen zentralen Teil des Künstlerporträts Alberto Giacometti – Die Augen am Horizont und ersetzen den abwesenden Giacometti. Das zweite Standbein sind – wie fast immer bei Bütler – die Kollegen, Sammler und Experten, die Connaisseure und Adepten. Und vielleicht ist es ja gerade diese Vielstimmigkeit, die eine Überhöhung des Lebens und Wirkens eines der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts immer wieder verhindert. Allerdings überwiegt bei diesem 58-minütigen Film dann doch das Gefühl, dass die Bilder ein wenig zu kurz kommen und zu wenig Zeit haben, auf den Betrachter zu wirken. So hinterlässt der Film bei aller Hochachtung vor allem den dringenden Wunsch, das Werk Giacomettis weniger atemlos betrachten zu können. Und das ist schon einmal eine beachtliche Leistung – wann sonst erweckt eine Dokumentation je den Wunsch, ein Museum zu besuchen?
 

Alberto Giacometti – Die Augen am Horizont (2005)

Während Ferdinand Hodler als wichtigster Schweizer Künstler des 19. Jahrhunderts gilt, dürfte der Titel für das darauf folgende Jahrhundert ohne Zweifel Alberto Giacometti zustehen.

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Meinungen

· 01.08.2007

für mich einer der besten Künstlerfilme die ich bisher gesehen habe!

· 25.07.2007

"Scheitern und Gelingen ist im Grunde das selbe" für einen der permanent unterwegs war. Von den Tälern des Bergell nach Paris und immer wieder zurück. Nach diesem Film hat man einen biographisch emotionalen Zugang zu den Werken Giacomettis.