Achteinhalb (1961)

Eine Filmkritik von Simin Littschwager

Der Künstler in der Krise

„Die Story enthüllt von Anfang bis Ende eine solche Armut an dichterische Einfällen, entschuldigen Sie, aber für mich ist das eines der eklatantesten und erschütterndsten Beispiele dafür, dass der Film im Vergleich zu den anderen Kunstformen um 50 Jahre im Rückstand ist.“ Ein harsches und vernichtendes Urteil: Was kann es zu tun haben mit einem absoluten Klassiker der Filmgeschichte, der es regelmäßig in Top-Ten-Listen der besten Filme aller Zeiten schafft? Die Rede ist von Federico Fellinis Achteinhalb / Otto e mezzo, dessen Titel sich darauf bezieht, dass es sich nach Fellinis eigener Zählung (Kurzfilme eingeschlossen) um sein achteinhalbtes Werk handelt.

Im Anschluss an den enorm erfolgreichen Film Das süße Leben/ La dolce vita, der mehr oder weniger das Ende des italienischen Neorealismus markiert, kreierte Fellini mit Achteinhalb auf äußerst unterhaltsame und kunstvolle Weise das Porträt eines Regisseurs in der Schaffenskrise und reflektiert darin nicht nur seine eigene Rolle, sondern gleichzeitig auch die Kunst des Films an sich. Die eingangs zitierte Kritik trifft auf Achteinhalb in seiner visuellen Ausdrucksstärke, seinem Einfallsreichtum, seiner großartigen Choreographie und mit seinen tollen Darstellern (allen voran der wundervolle Marcello Mastroianni) genau nicht zu; sie entstammt jedoch dem Film: Es handelt sich um einen Ausspruch des nörgelig-intellektuellen Schriftstellers, den der gefeierte Regisseur Guido Anselmi (Marcello Mastroianni) zu Rate zieht, um mit ihm das Drehbuch seines geplanten Filmes zu besprechen.

Künstlerisch ist Guido zu der Zeit allerdings total blockiert, und auch um seine Ehe ist es nicht eben zum Besten bestellt. Etwas Ruhe und Erholung, möglichst auch Inspiration, versucht er daher in einem noblen Kurbad zu finden, doch insbesondere die Ruhe ist ihm nicht vergönnt. Auf Schritt und Tritt trifft er auf Bekannte aus der Filmbranche, sein Produzent bedrängt ihn ebenso mit lästigen Fragen wie etliche Schauspielerinnen und sonstiges Fußvolk dies tun. Verkomplizierend kommt hinzu, dass er nicht nur seine Geliebte (Sandra Milo), sondern auch seine Ehefrau (Anouk Aimeé) nachreisen lässt. Daneben wird Guido immer wieder von Selbstzweifeln heimgesucht, Tagträume und Erinnerungen mischen sich in seine Wahrnehmung. Worum es in seinem Film, dessen Drehbeginn immer näher rückt, gehen soll, weiß indes niemand so genau – am wenigsten Guido selbst, auch wenn er dies zu überspielen versucht. Schließlich wird auf einem kargen Stück Land bereits an einem monströsen, sich phallisch in den Himmel schraubenden Gerüst für eine Raumschiffkulisse gebaut…

Einen leichten Hang zum Größenwahn kann man da sicherlich unterstellen, ebenso ein tendenziell gestörtes Verhältnis zur Wirklichkeit – und genau darin liegt das Spannende und Faszinierende dieses Films. Fellini beschäftigte sich zu der Zeit bereits mit C.G. Jung, dessen Traumsymbolik in Achteinhalb zum ersten Mal sichtbare Spuren hinterlässt. Immer wieder wird das, was man der Einfachheit halber als äußere Handlung bezeichnen kann, unterbrochen von traumhaften, surrealen Sequenzen. Obwohl unterbrochen eigentlich das falsche Wort ist, denn die verschiedenen Sphären – Guidos (Alp)träume, Tagträume, Kindheitserinnerungen, Phantasien, Projektionen und schließlich die Realität – überlagern sich und gehen derart raffiniert und assoziativ ineinander über, dass mit zunehmenden Verlauf des Films eine eindeutige Zuordnung nicht mehr möglich ist.

Selbst die scheinbar „reale“ Wirklichkeit in Achteinhalb wirkt nicht selten irritierend und ist daher mit Vorsicht zu genießen. Befremdlich etwa wirkt es, wie in einer Anfangsszene einige der pompösen Kurgäste kokett mit dem Betrachter zu flirten scheinen, wenn sie, zum Teil grotesk nah angeschnitten, an der Kamera vorbeiziehen – oder zieht die Kamera nicht doch eher an ihnen vorbei, als hätte sie ein Eigenleben? Verträumt spielt Guido mit seiner Sonnenbrille und urplötzlich verstummt die Musik: Wenn Stille ertönen kann, so tut sie es in jenem Moment, als die weiß gekleidete Claudia (Claudia Cardinale) zwischen Bäumen auftaucht und lächelnd zum Brunnen tänzelt, aus dem sie Guido das reinigende Wasser reicht – doch eine ungehaltene Stimme holt Guido in die Wirklichkeit zurück, die Muse Claudia entpuppt sich als Ausgeburt seiner Phantasie.

Trotz aller Leichtigkeit ist Achteinhalb zwar sicherlich kein leichtes Werk, aber er ist einer jener seltenen Filme, die man sich immer wieder anschauen kann, ohne dass sie etwas von ihrer Faszinationskraft einbüßen oder gar langweilig werden, wenn man das Ende erst kennt.
 

Achteinhalb (1961)

„Die Story enthüllt von Anfang bis Ende eine solche Armut an dichterische Einfällen, für mich ist das eines der eklatantesten und erschütterndsten Beispiele dafür, dass der Film im Vergleich zu den anderen Kunstformen um 50 Jahre im Rückstand ist.“

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