Absurdistan

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wer liebt, dem wachsen Flügel

Die besten Geschichten finden sich immer noch in der Zeitung. Als Veit Helmer im Jahre 2001 eine kleine Notiz im Tagesspiegel fand, in der von einem Sexstreik in einem Dorf in der Türkei berichtet wurde, war er sofort fasziniert und spürte, dass er einer neuen Geschichte auf der Spur war. In Sirt im Süden der Türkei waren die Frauen des Ortes in den Ausstand getreten, weil ihre Männer nicht in der Lage waren, für die Reparatur der maroden Trinkwasserleitungen zu sorgen, so dass das kostbare Nass auf beschwerliche Weise aus mehreren Kilometern Entfernung herbeigeschafft wurde. Klar, wessen Aufgabe das war. Immerhin zeigte der Streik Wirkung, das Rohr war alsbald ausgebessert und damit stand dem ehelichen Glück in Sirt nichts mehr im Wege. Manchmal sind es eben die einfachen Maßnahmen, die den Erfolg zeitigen.
Veit Helmer (Tuvalu, Tor zum Himmel, Behind the Couch) verlegt seine Geschichte aus der Türkei in ein Land zwischen Europa und Asien, eine Gegend, die über die Jahrhunderte hinweg von verschiedenen Völkern erobert und wieder verlassen wurde. Gedreht wurde sowohl in der Türkei als auch in Aserbaidschan. Hier, am Ende der Welt, wie der Film die Gegend nennt, sind Temelko (Maximilian Mauff) und Aya (Kristýna Maléřová) gemeinsam aufgewachsen und bereits seit längerem ein Paar; die erste gemeinsame Nacht steht ihnen allerdings noch bevor. Zum Zweck der Bestimmung des optimalen Zeitpunktes werden nun die Sterne konsultiert, doch als die beste Konstellation naht, geschieht das Unglück: Der Brunnen des Dorfes versiegt. Eine Katastrophe, sollte die Liebesnacht doch von einem gemeinsamen Bad eingeleitet werden.

Temelko ist verzweifelt, doch von den anderen Männern des Dorfes, allesamt liebestolle Maulhelden, kann er keine Hilfe erwarten; sie sitzen lieber herum und halten Maulaffen feil, statt sich um das langsam verfallende Dorf zu kümmern. Schließlich haben die Frauen es satt und treten in einen Sexstreik, um die faulen Kerle endlich zum Handeln zu bewegen. Quer durch das Dorf wird eine Grenze gezogen, die Frauen erklären sich zum Sperrgebiet und verteidigen ihre temporäre Unberührbarkeit mit allen Mitteln. Temelko ist verzweifelt, ihm bleiben nur noch sechs Tage Zeit bis zu jener Nacht, die ihm die Erfüllung seiner jahrelangen Träume bringen soll. Und während sich die Männer im Kleinkrieg mit den Frauen aufreiben, macht er sich auf seine gefährliche Mission, die den Brunnen des Dorfes wieder sprudeln lassen soll…

Absurdistan bildet innerhalb der aktuellen deutschen Filmlandschaft eine absolute Ausnahme: Während ein Großteil des deutschen Films von Internationalität lediglich träumt, macht Veit Helmer vor, wie es geht: Gedreht unter schwierigsten Bedingungen in Aserbaidschan – einem Land ohne jegliche filmische Infrastruktur – und in der Türkei, mit einem Cast aus sage und schreibe 16 Ländern und viel Lust an der Improvisation zaubert der Regisseur ein buntes und sehr vergnügliches Märchen auf die Leinwand, das ebenso wie das liebevoll beschriebene Dorf aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Helmers Film erinnert nicht von ungefähr an die großen Zeiten des Stummfilms, an Märchen und Legenden und an Emir Kusturicas Burlesken – kein Wunder, wirkte doch beim Drehbuch Gordan Mihic mit, der schon die Skripte von Time of the Gypsies und Schwarze Katze, weißer Kater besorgte.

Sicherlich: Absurdistan ist an manchen Stellen recht einfach, beinahe naiv gestrickt, die Dorfbewohner sind – mit Ausnahme des Liebespaares Temelko und Aya — mehr Typen als Figuren und an manchen Stellen schießt die überbordende Phantasie Helmers und seiner Co-Autoren Gordan Mihic, Zaza Buadze und Ahmet Golbol ein wenig über das Ziel hinaus. Doch all diese kleinen Schwächen werden mehr als aufgehoben von wundervollen Bildern (Kamera: George Beridze), einem beeindruckenden Score (Shigeru Umebayashi, der bereits mit Zhang Yimou und vor allem Wong Kar Wai zusammengearbeitet hat) und dem Mut, einen Film zu erschaffen, der vor allem auf die Macht seiner archaischen Geschichte vertraut. Und so erwartet manchen Zuschauer angesichts dieses Filmes eine Erkenntnis, die auch Temelko und vor allem Aya machen – Wer liebt, dem wachsen Flügel. Das schwebende Gefühl, das Absurdistan mehrmals beschreibt und immer wieder in betörende Bilder packt – es dürfte auch nach dem Verlassen des Kinos noch einige Zeit nachwirken.

Absurdistan

Die besten Geschichten finden sich immer noch in der Zeitung. Als Veit Helmer im Jahre 2001 eine kleine Notiz im Tagesspiegel fand, in der von einem Sexstreik in einem Dorf in der Türkei berichtet wurde, war er sofort fasziniert und spürte, dass er einer neuen Geschichte auf der Spur war.
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Meinungen

@Gast · 27.03.2008

Kommt drauf an, was man erwartet...

· 27.03.2008

netter versuch, aber geht leider daneben weil einfach vieles nicht ineinandergreift/unglaubwürdig ist. der regie ist da wohl ein bisschen da wohl anhand der landschaft und den dorfbewohner ein bisschen die aufmerksamkeit von den handlung abgekommen.

Julie28 · 24.03.2008

Poetisch, märchenhafter, kindlicher Film- erinnert ein bißchen an "Amelie". Sehr schöne Bilder und tolle Atmosphäre. Zwar keine komplexe Story, aber "süß" erzählt.