A Ghost Story (2017)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Verlorenheit der Bettlaken-Gespenster

Man kennt das Spiel von Kindern, die sich ein Bettlaken über den Kopf ziehen und auf diese Weise mit ganz einfachen Mitteln zum Gespenst werden. Rasch noch zwei Löcher für die Augen hineingeschnitten und fertig ist die Maskerade, mit der es sich zumindest in jungen Jahren herrlich gruseln lässt. In David Lowerys Trauerstudie A Ghost Story reicht der Geschichte dieses Utensil, um jenseits jeglichen Mummenschanzes in die Untiefen und Abgründe von Trauer und Verlust hinabzusteigen und eine Parabel über die Dinge des Lebens und des Todes auf die Leinwand zu malen, die sich ganz langsam und ohne jeden falschen Hokuspokus ihrem schwierigen Thema nähert. Auf diese Weise entsteht eine Geschichte, die den Zuschauer aufgrund ihrer teilweise aufreizend langen Einstellungen immer wieder am dünnen Faden der eigenen Geduld zappeln lässt, um dann zu Momenten großer Humanität und tiefer Empfindsamkeit zu finden.

Es sind Momente eines stillen und leisen Glücks, mit denen C (Casey Affleck) und M (Rooney Mara) als junges Paar aus der Vorstadt eingeführt werden. Flüsternd berichtet sie ihm eines Abends, dass sie als Kind immer die Angewohnheit hatte, kleine Zettelchen mit Botschaften und Gedichten überall im Haus und anderswo zu verstecken. Später, als die beiden im Bett liegen und kurz vor dem Einschlafen sind, schrecken sie von einem Geräusch hoch – wie von Geisterhand hat das alte Klavier, das bereits bei ihrem Einzug in dem Haus stand, Töne von sich gegeben, doch ein Verursacher des Lärms ist nicht auszumachen.

Was dann folgt, ist ein Schock, den David Lowery ganz behutsam einführt: Auf der Straße vor dem Haus sehen wir eines frühen Morgens zwei Autos ineinander verkeilt – in einem liegt C leblos über dem Lenkrad. Und ebenso langsam, wie der Schmerz über den plötzlichen Tod eines geliebten Menschen ins Bewusstsein der Hinterbliebenen vordringt, realisieren wir als Zuschauer nur widerwillig, dass C soeben vor unseren Augen verstorben ist. Auch M ist erstarrt, als sie ihn in der Leichenhalle identifiziert und ihm das Tuch wieder über den Kopf zieht, bevor sie geht, während die Kamera weiter auf dem verhüllten Leichnam verweilt. Dann plötzlich kommt Leben in ihn, und wir werden Zeuge, wie C sich vor unseren Augen in einen Bettlaken-Geist verwandelt und den langen Weg zurück in sein Zuhause antritt. Doch was ihn dort erwartet, ist ganz anders, als er es kennt. Seine gespenstisch-jenseitige Existenz ist für M nicht wahrzunehmen, die beiden können nicht miteinander kommunizieren, der Geist von C kann sich lediglich darüber äußern, dass er Gegenstände in Bewegung versetzt. Und so bleibt ihm einzig übrig, seine Geliebte aus der unüberbrückbaren Ferne zwischen Leben und Tod zu beobachten und sie schlussendlich aus den Augen zu verlieren. Denn anders als M ist Cs Geist an den Ort gebunden. Und so lässt sie ihn eines Tages zurück – nichtsahnend, wie nahe er ihr die ganze Zeit war.

Lowery lässt es aber dabei nicht bewenden und biegt schließlich auf eine erzählerische Ellipse ein, die nicht umsonst an einen anderen Film dieses Jahres erinnert: Wie in Darren Aronofskys mother! versteht es A Ghost Story mit erstaunlicher Leichtigkeit, den Gang der Geschichte als immerwährenden Kreislauf des Werdens und Vergehens nachzuzeichnen, in dessen Zirkelschluss eine Botschaft liegt, die beinahe schon religiöse, zumindest aber ontologische Züge trägt. Und noch (mindestens) eine weitere Wesensverwandtschaft gibt es zwischen diesen zwei Filmen – beide spielen überwiegend an einem einzigen Ort, einem Haus, dem mit der Zeit fast schon die Funktion eines weiteren Protagonisten zukommt.

Gedreht im aus der Mode gekommenen, sich hier aber sehr stimmig einfügenden Academy-Format (1:1,33) und von Kameramann Andrew Droz Palermo in traumschöne Bilder gefasst, deren Klarheit gerne auch etwas länger auf der Leinwand verweilen darf, ist David Lowery ein beeindruckend stiller, kluger und karger Film gelungen, der durch seine Langsamkeit und seine Szenen, in denen zwischen C und M kein Dialog möglich ist, ein enormes Risiko eingeht. Auf eindrucksvolle Art und Weise zeigt A Ghost Story, dass Geister und Gespenster keineswegs nur Geschöpfe sind, die in Horrorfilmen für wahre Effektfeuerwerke und Gruselszenen sorgen. Manchmal offenbaren sie sich uns auch einfach durch ein Laken über dem Körper und sind Geschöpfe, die – wie wir Lebenden auch – all unsere Sympathie und unser Mitgefühl verdienen. Denn wie wir selbst, sind auch sie stets gegenwärtig in dieser Welt.
 

A Ghost Story (2017)

Man kennt das Spiel von Kindern, die sich ein Bettlaken über den Kopf ziehen und auf diese Weise mit ganz einfachen Mitteln zum Gespenst werden. Rasch noch zwei Löcher für die Augen hineingeschnitten und fertig ist die Maskerade, mit der es sich zumindest in jungen Jahren herrlich gruseln lässt. In David Lowerys Trauerstudie „A Ghost Story“ reicht der Geschichte dieses Utensil, um jenseits jeglichen Mummenschanzes in die Untiefen und Abgründe von Trauer und Verlust hinabzusteigen.

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