A Film Unfinished

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Geheimsache Ghettofilm

1942. Zwei Monate vor der gewaltsamen Räumung des Warschauer Ghettos durch die Nazis, schickt das Propagandaministerium ein Filmteam, um Aufnahmen zu machen. Die Dreharbeiten dauern ein paar Wochen und die sechs Filmrollen werden nach getaner Arbeit nach Berlin zu Weiterbearbeitung geschickt. Was dann passiert ist unklar. Irgendwie landen die Rollen nach dem Kriege in einem DDRArchiv. Dort werden sie später wieder entdeckt und als dokumentarische Aufnahmen in Museen und für Schulen genutzt. Was das Material zeigt und die Geschichte der Filmarbeiten, zeigt die Dokumentation Shtikat Haarchion – A Film Unfinished. Es ist aber auch die Geschichte von Filmbildern, die einerseits dokumentarischen Wert haben, andererseits aber vorher nie auf ihren propagandistischen Inhalt und auf ihre Inszenierung hinüberprüft wurden.
Das damalige Filmteam sollte Aufnahmen im Ghetto machen, die später als Propagandafilm in den Kinos laufen sollte. Ziel war es den krankhaften und bösen jüdische Charakter zu porträtieren, den die Nazis diesen Menschen bescheinigt hatten. Wie also kann man Filmbilder, die mit solch einem Auftrag gefilmt wurden als dokumentarisch verstehen? Wo ist die Grenze zwischen Inszenierung und Wahrheit? Diesen Fragen geht der Film über den Film nach. Sorgfältig trennt Yael Hersonski in ihrer Dokumentation Fakt von Fiktion. Sie lässt Überlebende des Ghettos das Material betrachten und verifizieren, welche Teile echt und welche gestellt waren. Und auch die Toten aus Warschau kommen zu Wort. Anhand zahlreicher Aufzeichnungen von Ghettobewohnern, die mit der Vorahnung des Todes alles noch so kleine in ihrem Leben dokumentierten, erarbeitet sich langsam ein Bild über die Umstände des Filmes. Viele Sequenzen, so stellt sich heraus, waren immer und immer wieder geprobt worden. Es sollte, so das Propagandaministerium, der Unterschied gezeigt werden zwischen den reichen Juden, die selbst im Ghetto in Saus und Braus leben und den ärmeren, welche unter den Augen ihrer reichen Mitbürger verrecken. So ließen Offiziere Juden unter Gewaltandrohung in ein Restaurant kommen, in dem die noch halbwegs gut Genährten lustige Abende bei Fleisch und Wein fingieren mussten.

Neben alle dem hat der Film aber auch das tatsächliche Leiden eingefangen. Yael Hersonski betrachtet da vor allem den Hintergrund der Filmbilder, die kleinen Fetzen Realität, die sich hinter den Inszenierungen befinden. Gemeinsam mit dem Zuschauer arbeitet sie sich durch alle sechs Filmrollen und seziert in einer Mischung aus historischer Aufarbeitung und Filmanalyse bis ins Detail. Sie macht sich sogar an eine siebte Rolle heran, die nur aus Filmresten besteht und eindeutig belegen kann, wie Aufnahmen immer wieder wiederholt und aus verschiedenen Winkeln gedreht wurden. Dabei gelingt ihr noch ein weiterer kleiner Coup: auf manchen sind die Filmemacher selbst zu sehen, die somit unfreiwillig selbst zu einem dokumentarischem Gut werden und sich nicht länger hinter der Kamera verstecken können.

Die intensive Auseinandersetzung mit dem Filmmaterial ist für den Zuschauer Schwerstarbeit. Man will ja eigentlich nicht so genau hinschauen, wenn ausgemergelte Kinder durchs Bild laufen und sich die Leichen auf der Straße stapeln. Doch genau das lässt der Film nicht zu. Er zwingt den Blick auf das so gern missachtete Detail.

A Film Unfinished

1942. Zwei Monate vor der gewaltsamen Räumung des Warschauer Ghettos durch die Nazis, schickt das Propagandaministerium ein Filmteam, um Aufnahmen zu machen. Die Dreharbeiten dauern ein paar Wochen und die sechs Filmrollen werden nach getaner Arbeit nach Berlin zu Weiterbearbeitung geschickt. Was dann passiert ist unklar.
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Meinungen

Chris · 17.04.2011

Frau Beatrice Behn ist mit ihrem Kommentar zu diesem Film ein wirklich gelungener Überblick über den Inhalt und die Wertung des Gesehenen geglückt. Geradezu haarsträubend liest sich dagegen z.B. die Beschreibung des Bundesarchivs zum selben Film - besonders wenn man ihn gerade erst gesehen hat.

Das Furchtbare an dem Gesehenen ist, dass man einen völlig schonungslosen Einblick in die damalige Realität bekommt:
1) Nazis, die die Endlösung bereits beschlossen haben, schicken ein Filmteam los, um etwas aufzunehmen (nämlich Juden), was es bald nicht mehr geben soll. Dieser Film ist damit ein historisches Dokument, aus dem wir sehen, wie entschieden und im vollen Bewusstsein ihrer Handlungen die Judenhasser vorgingen. Der Film musste eben zu dem Zeitpunkt gedreht werden, wenn man so etwas jemals von Juden verkörpert auf Film konservieren wollte.
2) Juden, die so weit ihrer bürgerlichen Rechte enthoben sind, dass sie es erdulden müssen, für andere den Clown machen zu müssen. Wie erniedrigt und schutzlos muss ein Mensch sein, bis er es zulässt, dass ihm feindlich Gesinnte Aufnahmen von zutiefst persönlichen und religiösen Momenten machen und ihn dabei als Marionette missbrauchen? Somit zeigt der Film auf furchtbare Weise einen Ausschnitt der damaligen Realität hinsichtlich der Beziehung zwischen Deutschland und dem jüdischen Volk.