600 Miles

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Kein Land für zaghafte Männer

Die Grenzregion zwischen Mexiko und den USA und ihre spezifischen Probleme sind immer wieder Thema in mexikanischen und amerikanischen Filmen. Von Narco Cultura über The Counselor bis hin zu Sicario und Cartel Land stehen dabei meist der Drogenhandel, Menschenschmuggel, die hohe Mordrate sowie die systemische Korruption in Mexiko im Mittelpunkt. In seinem Film 600 Miles folgt Regisseur Gabriel Ripstein einer einfachen Geschichte aus dem Grenzland, die sehr nachdrücklich von dem Leben in Mexiko im Allgemeinen und den Auswirkungen der organisierten Kriminalität im Besonderen erzählt.
Der junge Arnulfo Rubio (Kristyan Ferrer) schmuggelt mit der Hilfe eines kaum älteren Amerikaners Waffen über die Grenze. Sein Vorgehen ist simpel: Der amerikanische Junge besorgt Waffen in verschiedenen Geschäften, auf Waffenmessen oder im Internet, Arnulfo versteckt sie in Hohlräumen hinter der Innenverkleidung in seinem Wagen und fährt über die Grenze. Stets probt er vorher, was er den Grenzbeamten über den Grund seines Aufenthalts sagen wird, meist war er drei Tage in Tuscon. Arnulfo ist zwar vernünftiger als sein amerikanischer Gehilfe, der aus Spaß noch kleine Dinge im Laden klaut oder mit der Waffe posiert, aber auch ihm geht es vor allem darum, seinen Onkel zu beeindrucken. Er will zu den harten Männern gehören, zu den Gangstern und Banden, die in seiner Heimatstadt das Sagen haben. Deshalb eifert er ihrem Verhalten nach, will ebenso lässig und cool agieren, übt ein bedrohliches „Redest Du mit mir“ im Spiegel, verstärkt seine „böse“ Ausstrahlung dann aber sicherheitshalber noch mit Eyeliner und einem Ohrring. Arnulfo giert nach Anerkennung, aber im Grunde genommen ist er nicht hart genug für dieses Business – oder wie es im Paten über den Bruder Fredo heißt: er hat es einfach nicht in sich. Das sehen Arnulfos Auftraggeber ebenso wie die Zuschauer, nur Arnulfo selbst nicht.

Anfangs bleibt die Perspektive des Films bei Arnulfo, seine Schmuggelroutine ist zu sehen, seine kurzen Treffen mit seinen Auftraggebern und seine Versuche, seinen Onkel zu beeindrucken. Durch wenige Bilder wird dadurch das soziale Gefüge deutlich, in dem er agiert. Dann erfolgt ein Übergang: Nachdem Arnulfo Waffen von einer Messe verladen hat und vom Parkplatz gefahren ist, verharrt die Kamera auf der leeren Parkbucht, bis ein anderes Auto hineinfährt. Aus ihm steigt ATF-Agent Hank Harris (Tim Roth), der routiniert auf der Suche nach Waffenschiebern ist. Er spricht mit Verkäufern, notiert sich Autokennzeichen und wartet auf Bescheide. Diese Arbeit ist sein Alltag, die Verkäufer haben nichts zu verbergen, da sie sich an die Vorschriften halten, und ihn interessieren lediglich die Käufer. Dann erregt Arnulfo durch einen Zufall seine Aufmerksamkeit – und die Situation geht schief, so dass Hank Harris als Gefangener in Arnulfos Auto landet. Vom ersten Moment an ist klar, dass Arnulfo nicht weiß, was er tun soll. Deshalb ist Hank in einer nur scheinbar aussichtslosen Situation, zumal er ebenso wie die Gangster in Mexiko erkennt, dass er von einem Anfänger entführt wurde. Und bald wird deutlich, dass sich sogar Hank Harris der mexikanischen Realität mit allen zynischen Konsequenzen angepasst hat.

Dank der Handkamera ist Gabriel Ripstein sehr nah an seinen Protagonisten, zudem sorgt die naturalistische Farbgebung für eine sehr authentische Bildgestaltung. Dabei überzeugt vor allem die Ruhe in der Inszenierung, die sogar Schusswechsel mit einer Haltung von Alltäglichkeit zeigt. So wird am Beispiel dieser ungleichen Männer sehr deutlich, dass das Leben im Grenzland Auswirkungen auf die Menschen auf beiden Seiten des Zauns hat – und am Ende steht eine einfache, aber in ihrem zynischen Realismus brillante Schlussnote.

600 Miles

Die Grenzregion zwischen Mexiko und den USA und ihre spezifischen Probleme sind immer wieder Thema in mexikanischen und amerikanischen Filmen. Von „Narco Cultura“ über „The Counselor“ bis hin zu „Sicario“ und „Cartel Land“ stehen dabei meist der Drogenhandel, Menschenschmuggel, die hohe Mordrate sowie die systemische Korruption in Mexiko im Mittelpunkt.
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