3 (2012)

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Familie ist kein Kinderspiel

Vater, Mutter, Kind — ein Kinderspiel. Doch weder Eltern noch Kinder würden dies für den alltäglichen Familienterror bestätigen. Im Grunde ist die Familie ein unfassbar fragiles Bündnis, das sich täglich aufs Neue bewähren muss, um so gegen den möglichen Zerfall anzukämpfen. Und genau dieser Kampf inspiriert alle narrativen Künste seit Urzeiten. Am treffendsten hat es wohl Leo Tolstoi in seinem zugegebenermaßen immer wieder zitierten ersten Satz aus Anna Karenina zusammengefasst: Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.
Nichts kann treffender die Familie aus Pablo Stolls Film 3 charakterisieren. Ana ist mitten in der Pubertät und hat nur Jungs im Kopf. Ihr droht deshalb der Schulverweis. Ihre Eltern leben getrennt und während Vater Rodolfo verzweifelt versucht zu seiner Tochter eine emotionale Bindung aufzubauen, läuft Mutter Graciela täglich ins Krankenhaus, um die im Koma liegende Tante zu besuchen. Im Wartesaal verliebt sie sich in einen anderen Mann.

3 besteht im Wesentlichen aus scheinbar linear und chronologisch ablaufenden Episoden, in denen mal das eine, mal das andere Familienmitglied in den Fokus rückt. Bitter, fast schon zynisch, betrachten wir die drei wie sie sich gegenseitig verletzen und betrügen. Doch der Ton des Films ist melancholisch und still, denn es gibt vielleicht Hoffnung. Der Zahnarzt Rodolfo versucht sich die Liebe seiner Tochter durch kleine Geschenke zu erkaufen. Er kauft ihr ein neues Handy, repariert seiner Exfrau das Waschbecken (natürlich unter dem Vorwand es für die Tochter zu machen). Das geht so weit, dass eines Tages die ganze Wohnung neu gestrichen wird und Pablo sich immer häufiger dort aufhält, was Graciela gar nicht gefällt.

Damit wäre der Film eigentlich schon erschöpfend besprochen. Eine typische melancholische Komödie aus Südamerika, die etwas schwungvoller und weniger streng komponiert ist als Stolls letzter Film Whisky. Man könnte sogar zurecht bemängeln, dass der Film für seine Laufzeit von fast zwei Stunden wenig zu erzählen hat und hier und da mit öden Pubertäts- und Scheidungsklischees spielt.

Doch das surreale und überraschende Ende von 3 lässt das Gesehene in einem anderen Licht erscheinen. Wie François Ozon in 5x2 rückwärts vom Zerfall einer Liebe erzählte, so macht es Stoll nun mit einer Familie. Dass dies aber nicht ganz so streng und offensichtlich in Szene gesetzt wurde wie in Ozons Film macht 3 wirklich interessant. Der eigentliche Film müsste also dann beginnen, wenn er aufhört, wenn alle drei im gleichen Bett liegen. Was könnte das aber für ein Film sein? Während Ana, Graciela und Rodolfo erschöpft die Augen schließen, hört man wie im laufenden Fernseher lautstark Bomben explodieren. Es bleibt wohl dabei: „Alle glücklichen Familien…“

3 (2012)

Vater, Mutter, Kind — ein Kinderspiel. Doch weder Eltern noch Kinder würden dies für den alltäglichen Familienterror bestätigen. Im Grunde ist die Familie ein unfassbar fragiles Bündnis, das sich täglich aufs Neue bewähren muss, um so gegen den möglichen Zerfall anzukämpfen. Und genau dieser Kampf inspiriert alle narrativen Künste seit Urzeiten.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen