14 Kilometer

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Fluchtbiografien

Gerade mal 14 Kilometer sind es, die Afrika von Europa an der Straße von Gibraltar trennen. Keine große Entfernung, wenn man es recht bedenkt, im heutigen Zeitalter ist dies nicht vielmehr als ein Katzensprung, den wir in Windeseile durchmessen. Und dennoch scheitern viele Menschen genau an diesen 14 Kilometern, die zwischen der so genannten ersten und der dritten Welt liegen. So ergeht es auch den Menschen, von denen Gerardo Olivares in seinem Spielfilm 14km – Auf der Suche nach dem Glück erzählt, der, obgleich er schon aus dem Jahr 2008 stammt, nichts an Aktualität und Brisanz verloren hat. Weil das Leid und die enttäuschten Hoffnungen der Flüchtlinge nicht ab-, sondern eher zunehmen.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Violet (Aminata Kanta) aus Mali, die zwangsverheiratet werden soll. Und zwar ausgerechnet mit einem alten Mann, der sie einmal vergewaltigt hat. Obgleich die Heirat längst beschlossene Sache ist, weigert sie sich standhaft und sieht schließlich keine andere Möglichkeit mehr, als ihr Heil und ihr (selbstbestimmtes) Leben in der Fremde zu suchen. Auch Buba (Adoum Moussa) aus Niger träumt von der Ferne. Doch seine Sehnsüchte sind ganz andere als die der jungen Frau, der er später begegnen wird. Er möchte in Europa ein berühmter Fußballspieler werden. Und wenn die Scouts des großen Clubs schon nicht zu ihm kommen, muss er sich auf den Weg zu ihnen machen, um sie von seinem Talent zu überzeugen. Gemeinsam mit seinem Bruder Mukelsa (Illiassou Mahamadou Alzouma) verkauft er all sein Hab und Gut, gemeinsam brechen sie auf zu ihrer Reise ins Ungewisse, in deren Verlauf sie auf Violet treffen. Zusammen reisen sie weiter. Doch der Weg, der unter anderem durch die gewaltige Ténéré-Wüste führt, ist lebensgefährlich. Und nicht jeder der drei Reisenden wird sein Ziel erreichen.

Seit vielen Jahren schon beschäftigt sich de Regisseur Gerardo Olivares mit Afrika und entdeckte im Zuge eines Dokumentarfilms die LKWs, die zum Teil mit 100 Menschen an Bord die Ténéré durchqueren. Der Anblick der vollkommen überladenen Fahrzeuge und der Passagiere faszinierten ihn so sehr, dass er beschloss, seine Eindrücke in einem Spielfilm zu verarbeiten. Dennoch merkt man 14 Kilometer – Auf der Suche nach dem Glück die Herkunft des Regisseurs vom Dokumentarfilm und sein Interesse an größtmöglicher Authentizität an, seine Bilder von den Bedingungen während der Reise, von den diversen maroden Transportmitteln und schäbigen Unterkünften könnten sich ebenso in jedem non-fiktionalen Beitrag zu diesem Thema wiederfinden.

Vielleicht liegt es auch an dieser quasidokumentarischen Herangehensweise, dass die fiktiven Personen als individuelle Persönlichkeiten nicht immer so überzeugend sind, wie man sich das gewünscht hätte. In ihnen versammeln sich Motive verschiedenster Flüchtlingsbiografien; die Bruchstücke höchst unterschiedlicher Erfahrungen und Hoffnungen gehen etwas zu Lasten der psychologischen Tiefe und Schlüssigkeit der Figuren – weil sie vor allem für die kollektiven Erfahrungen stehen und für die Not eines gesamten Kontinents. Ähnlich verdichtet und dementsprechend wenig authentisch wirkt auch der Fluchthelfer Mr. Passport, der als ein geradezu klischeehaft überzeichneter Repräsentant seines zweifelhaften Standes erscheint – mit dicker Goldkette und Anzug könnte er ebenso gut als Inbegriff eines schmierigen Gangsters oder skrupellosen Halbweltkönigs herhalten.

Dabei zeigt Oilivares selbst am besten, wie man sich diesem Thema auch ganz anders und vor allem filmischer annähern kann. Am beeindruckendsten ist der Film dann, wenn die Reisenden die Wüste durchqueren. Hier im wahrhaftigen Niemandsland der endlosen Weite, in der physikalische Grenzen keine Rolle spielen, weil der Mensch von ganz alleine an seine Grenzen gerät. Wenn Bouba wegen unklaren Zuständigkeiten der Grenzbehörden zwischen Algerien und Marokko hin- und hergeschoben wird wie eine Spielzeugfigur, dann sagt das viel mehr aus über den nicht vorhandenen Status der Flüchtlingen als viele dramaturgische Zuspitzungen. Das Ödland als Sinnbild von entwurzelten und entrechteten Menschen, die nichts anderes finden wollen als ihr kleines Stück vom Glück, ist das mit Sicherheit stärkste Symbol dieses Films.

14 Kilometer

Gerade mal 14 Kilometer sind es, die Afrika von Europa an der Straße von Gibraltar trennen. Keine große Entfernung, wenn man es recht bedenkt, im heutigen Zeitalter ist dies nicht vielmehr als ein Katzensprung, den wir in Windeseile durchmessen. Und dennoch scheitern viele Menschen genau an diesen 14 Kilometern, die zwischen der so genannten ersten und der dritten Welt liegen.
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