1001 Nacht - Teil 3: Der Entzückte

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

DJs und potente Paddler

Miguel Gomes erzählt weiter Geschichten im dritten Teil seiner 1001-Nacht-Trilogie. Er erzählt bewusst zu viel. Der Entzückte ist eine endgültige Engführung von Eskapismus und Erzählung. Er ist ein starkes Plädoyer für die Fiktion, bei der es weniger darum geht, was erzählt wird, als darum, dass erzählt wird. Seine Geschichten finden jetzt gleichzeitig statt. Bild-, Text- und Tonebene überlagern und widersprechen sich bisweilen, alles wird vermischt. Das gilt für die Vergangenheit und die Gegenwart wie für die Fiktion und Dokumentation.
In Zeiten politischer Ungerechtigkeit erzählt jemand Geschichten. Das ist Scheherazade, das ist Miguel Gomes. In einer bedeutungsschweren Szene erklärt die jederzeit als Schönheit inszenierte Geschichtenerzählerin ihrem Vater, dass Geschichten helfen würden, um am Leben zu bleiben. Sie würden eine Brücke zwischen den Lebenden und den Toten bauen. Die Gegenmeinung erfährt sie sofort: der Vater meint, wenn etwas geschrieben stehe, dann müsse es auch geschehen. Keine Geschichte ohne Konsequenz und keine Konsequenz ohne Geschichte. Zuvor schon und eigentlich über den ganzen dritten Teil hinweg fällt Scheherazade in eine ähnliche Krise wie der Filmemacher selbst zu Beginn des ersten Teils.

Eine wunderschöne 35mm-Krise im Rausch einer Schönheit am Meeresufer, verliebt in den schönsten Mann des Archipels, die Augen abgewandt von Gewalt und die atemberaubendste Version des dauernd erklingenden Perfidia begleitet von einer Akkustikgitarre wiedergebend, versucht die junge Frau ihrer Bürde zu entkommen. Es macht Spaß dort zu sein. Am Strand, verloren in den Augen eines äußerst potenten Paddlers. Portugal verschwindet kurz. Hier geht es auch um das Privileg des Geschichtenerzählers und die Lücke zwischen der Erzählerin und ihrem Stoff. Es ist eine Ermüdung, das Verschwinden der Inspiration, eine Verkrampfung und ein Ekel vor der Realität, die immer auch eine Fiktion ist. Scheherazade, die im vollen Leben steht, kann keine Geschichten mehr erzählen. Es geht um eine Lust auf das Leben. Gomes scheint hier zu sagen, dass es keinen Eskapismus in die Geschichten geben kann, sondern nur eine Flucht vor den Geschichten. Ähnliche Gedanken hatte Gomes schon in seinem The Face You Deserve. Dann aber fängt er und fängt sie sich und gemeinsam erzählen sie wieder von einer Flucht in den Geschichten, das ist im dritten Teil hauptsächlich ein Buchfinkengesangswettbewerb mit Kriegsveteranen und Kriminellen.

Die Schönheit des Gegensatzes: Zärtliche Vögel und raue Menschen. Einer dieser Vogelzüchter ist Vasco, der von einem Schauspieler gespielt wird. Hier gibt es ganz plötzlich die Einfachheit eines Vogelzwitscherns, die Schönheit dieses Gesangs. Aber – und das wird auch gesagt – vor lauter singen kann man sterben. Ist die Poesie Portugals gleichzeitig sein Untergang? Immer wieder gibt es in 1001 Nacht die Musik, die Poesie, das Fantastische und immer wieder gibt es auch das Sterben. Ganz allgemein kann man das Vorgehen von Gomes durchaus mit einem DJ vergleichen. Ein DJ der Geschichten mit einem unheimlichen Gefühl für Musik wie wir es aus seinen vorherigen Filmen kennen. Die Lieder im Film erklingen und werden auch gesungen, um Schmerzen zu vergessen, um Panik zu vermeiden, um Gefühle vorzutäuschen. Die Musik, die uns ermöglicht, etwas zu fühlen, täuscht genau dieses Gefühl auch vor. Es ist die Lüge einer Wahrheit, wie in den Lyrics von Perfidia.

Nun erklären die Vögel, dass diese Co-Existenz von Musik und Sterblichkeit auch auseinander hervorgehen kann, und es ist äußerst konsequent, dass Gomes in seinem dritten Teil die Ton- und Bildebene so extrem wie sonst nie in seiner Trilogie trennt. Einmal hören wir die Geschichte einer Asiatin und sehen Bilder einer brutalen Polizeidemonstration. Erst spät werden die beiden Ebenen kurz zusammengeführt, es ist ein wenig wie in einem Film von Gerhard Friedl. Sinn ergeben viele Geschichten sowieso erst in ihrem Abklang, aber das kennen wir bereits von Gomes aus seinem Film Redemption. Doch Gomes geht noch weiter mit den Gestaltungsebenen, denn Schrift spielt plötzlich eine enorme Rolle im dritten Teil. So liegt die Erzählung von Scheherazade ständig über den Bildern der Vogelzüchter und wird gleichzeitig zu einer Fiktionalisierung und Hintergrundinformation. Gomes zwingt den Zuseher zum Lesen, er nimmt seinen Bildern damit endgültig ihre Bedeutung, ja ihre Glaubwürdigkeit im Bezug zum Realen. Aber gleichzeitig ist auch diese Schrift im Bild ein Kino. Die Ebenen klaffen meilenweit auseinander, den Geschichten fehlt ihr Ton, ihre Sinnlichkeit, sie können nur noch nüchtern und gegen die eigene Ermüdung und das Schwinden der Inspiration entstehen. Sie werden jedoch durchgezogen, weil sie erzählt werden müssen, um das Volk zu retten. Dieses Vorgehen ist äußerst ungewöhnlich und erinnert ein wenig an Hou Hsiao-hsiens zweite Episode seines Three Times, ohne dass Gomes auf irgendeine Art Stummfilmästhetik zurückkommen würde.

Alles wird vermischt im dritten Teil. Ein Flugzeug mit einer Botschaft des Königs an Scheherazade fliegt vorbei, einige Klippenspringer beschweren sich über Verschmutzung, als die Prinzessin eine Wunderlampe ins Meer wirft, und an einem Strand sitzen Darsteller in auffälligen Kostümen aus Bagdad zwischen den Badegästen. Auf die Gleichzeitigkeit von Fiktionalität und Realität zu verweisen, das Fiktionale als politische Element zu installieren ist eine Sache, aber die Realität immer wieder so zu zeigen, als wäre sie Fiktion, ist problematisch. Vor allem, wenn die Fiktion oft zum Selbstzweck wird, wie wenn beständig schriftlich eingeblendet wird, dass Scheherazade erzählt und unterbricht oder wenn die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Zukunft nicht aus der natürlichen Gegebenheit der Dinge entsteht, sondern die Gestalten aus Bagdad gleich Pokémons im modernen Portugal herumsitzen. Gomes verpasst hier, die Fiktion stärker mit der Realität zu überlappen. Letztlich wirkt sie zu oft wie ein Spiel.

Was also bleibt nach drei Teilen, ist weniger ein Film, der Portugal beschreibt, als ein Film, der das Wesen von Geschichten erkundet. Warum man erzählt, warum man erzählen muss, wie man erzählen kann. Auch das Scheitern, der Zweifel und die Angst vor den Geschichten ist dabei enthalten. Die Anything-Goes-Mentalität von Gomes sorgt dabei sicherlich für Irritationen und gar Frustrationen beim Seherlebnis. Aber genau über diese Probleme findet man aus den Geschichten heraus hin zur Erzählerin und ihrer Rolle für unser Leben.

1001 Nacht - Teil 3: Der Entzückte

Miguel Gomes erzählt weiter Geschichten im dritten Teil seiner „1001-Nacht“-Trilogie. Er erzählt bewusst zu viel. „Der Entzückte“ ist eine endgültige Engführung von Eskapismus und Erzählung. Er ist ein starkes Plädoyer für die Fiktion, bei der es weniger darum geht, was erzählt wird, als darum, dass erzählt wird. Seine Geschichten finden jetzt gleichzeitig statt.
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