Fish Tank (2009)

Eine Filmkritik von Tomasz Kurianowicz

Hoffnung in der Vororttristesse

Am Anfang von Fish Tank breitet sich eine absonderliche Kleinstadt-Hässlichkeit aus, wie sie an architektonischer und städteplanerischer Tristesse wohl kaum mehr zu überbieten ist. Der hier gezeigte englische Vorort, namens- und identitätslos, in den dieser Film seine Protagonisten wirft, könnte halb Europa repräsentieren: eine Banlieue in Frankreich, eine verwahrloste Hochhaussiedlung am Rande Berlins, oder eine aus Beton und grauem Putz konstruierte Trabantenstadt im Süden von Bratislava. Nehmen wir also diese unwirtliche Retortenstadt, in dem die 15-jährige Mia (Katie Jarvis) heranwächst, als europaweit anwendbare Allegorie für die soziale Verwahrlosung einer ganzen Gesellschaftsschicht, als Metapher für einen Menschenschlag ohne Kraft und Motivation, sich nach sozialdemokratischem Ideal in die stabile Mittelklasse hinaufzuarbeiten. Hier dominieren lediglich Strategien für das Erträglichmachen des prekären Zustands: das blanke In-den-Tag-Hineinleben, das tumbe Zeit-tot-schlagen, der rauschhafte Alkoholkonsum zugunsten des sinnbetäubenden Vergessens.

Die Umgebung erschafft ihr Prekariat: Mia hat eine kleine, 7-jährige Schwester, die mit Freundinnen Zigarette raucht und nächtelang vor dem Fernseher sitzt; außerdem eine Mutter, die es bevorzugt, statt mit der Familie ein paar schöne Stunden zu verbringen, Partys zu feiern, flaschenweise Wodka zu konsumieren und dabei so zu tun, als ob es keine anderen mütterlichen und fürsorglichen Pflichten mehr gäbe. Die Kinder werden im Beisein der Gäste, zur Wahrung einer ausgelassenen Atmosphäre, ausgesperrt, an den Haaren gezogen, in die Arme gekniffen. Ähnliche Verhaltensmuster zur Konfliktbewältigung tragen sich in den Sprösslingen fort: Beschimpfungen, Aggressionen und Wutausbrüche sind die einzige Waffe, mit denen beide Schwestern ihren Alltag zu meistern verstehen.

Mia, die eigentliche Protagonistin dieser sozialen Abstiegserzählung, ist Opfer und Heldin zugleich. Denn an den kurzen, kleinen, ja winzigen Ausbruchsversuchen aus der pathologischen Familienstruktur zeigt sich die Möglichkeit einer anderen, besseren Existenz: Mia tanzt gern, etwa vor dem Fernseher, wenn Videoclips auf MTV laufen, wo rhythmisch mit den Hüften wackelnde Backgroundstatistinnen ihre zwischen Erotik und Kunst changierenden Fähigkeiten unter Beweis stellen. Doch das sind nur kurze Hoffnungsschimmer in einem ansonsten aus Stumpfsinnigkeit und Langeweile generierten Alltag. Erst als Connor (Michael Fassbender), der neue attraktive Freund der Mutter, auf die Familie stößt, kommt es zur Peripetie: Endlich ist da jemand, der, auch wenn nur oberflächlich, den Kindern und der ganzen Familie ein anderes Leben aufzuzeigen vermag, das nicht dank Connors Geldbeutel, sondern aufgrund seines einfachen Sinns für Phantasie in eine neue, Hoffnung spendende Richtung schlägt. Das zeigt sich beispielhaft anhand eines Ausflugs, den alle Familienmitglieder, vielleicht zum ersten Mal, gemeinsam unternehmen — zu einem nah der Hochhaussiedlung gelegenen Fluss, wo die Natur ihre unerkannte Schönheit und versteckte Vielfalt offenbart. So wird ein Gewässer, eine Wiese und ein Fisch, den Mia mit Connor zu fangen versuchen, zum Universum aus Abenteuern und bunten Szenerien, zur ganz großen Welt, die endlich Ausflucht bietet aus der ewig schaurigen Vorstadttristesse.

Schnell jedoch spielt sich ein psychologisch bedenklicher Umschwung ab — nicht nur, was den gesteigerten Zufriedenheitsgrad von Mia betrifft, sondern auch auf der Ebene der Beziehungsstruktur zwischen der 15-jährigen Tochter und dem weitaus älteren Supermarktmitarbeiter Connor, der vom Mentor und Glücksbringer zum alkoholisierten Verführer mutiert. Und so wird aus einer Sozialstudie schnell ein psychologisch fein ziseliertes Porträt über eine Teenagerin, die auf dem Weg zur Erwachsenen harte und zum Scheitern verurteilte Prüfungen zu bestehen hat.

Andrea Arnolds überzeugender Film Fish Tank ist eine engagierte, leise, langsam erzählte und sich immer weiter steigernde Bestandsaufnahme einer wie gelähmt wirkenden Gesellschaftsschicht. Doch das Treffliche an diesem Film ist, dass er nie den Sinn für das Doppelbödige verliert, für das Unerwartete und Mögliche. Ein deutscher Filmemacher hätte wahrscheinlich viel Schwarz-Weiß-Malerei betrieben, um das deprimierende Schicksal dieser am Abgrund stehenden Familie zu schildern. Andrea Arnold hingegen erhält bis zum Schluss ein ziemlich erbauliches Gefühl am Leben. Ein Gefühl, das Hoffnung heißt.
 

Fish Tank (2009)

Am Anfang von „Fish Tank“ breitet sich eine absonderliche Kleinstadt-Hässlichkeit aus, wie sie an architektonischer und städteplanerischer Tristesse wohl kaum mehr zu überbieten ist. Der hier gezeigte englische Vorort, namens- und identitätslos, in den dieser Film seine Protagonisten wirft, könnte halb Europa repräsentieren:

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Meinungen

aufgelesen · 04.10.2010

Wunderbarer Film. Echt gut!