Fidaï

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Das Schweigen des Revolutionärs

Die Umwälzungen in der arabischen Welt lassen ihre junge Generation auch vermehrt nach ihren geschichtlichen Wurzeln fragen. Der französische Filmemacher Damien Ounouri hat eine Dokumentation über seinen Großonkel gedreht, der erst jetzt, nach 50 Jahren, über seine Rolle im algerischen Unabhängigkeitskrieg spricht. Mohamed El Hadi Benadouda wurde mit 19 Jahren ein „Fidaï“ – ein Mann, der sein Leben dem Kampf für eine höhere Sache verschreibt. Im Auftrag der algerischen Nationalen Befreiungsfront FLN erschoss er Anfang 1961 in Frankreich einen Mann. Damien Ounouris Film Fidaï ist ein eindringliches Beispiel mündlich erzählter, persönlich erlebter Geschichte.
Der 1982 im französischen Clermont-Ferrand geborene Ounouri besucht seinen Großonkel in Algerien, filmt ihn in seinem Laden, im Kreis der Familie. El Hadis Kinder sagen, dass sie kaum etwas über seine Vergangenheit wissen. Wenn der über Siebzigjährige nun in Algerien und Frankreich die Schauplätze seiner Jugend aufsucht, kostet ihn das Sprechen sichtlich Überwindung. Das ihm einst als Fidaï auferlegte Gebot des Stillschweigens hat er sich zur Gewohnheit gemacht und eigene Fragen, Skrupel oder das Bedürfnis nach Austausch unterdrückt.

Als Jugendlicher arbeitete El Hadi auf einer Kolonialfarm und hörte aus einem Gefängnis der französischen Armee die Schreie der Gefolterten. Er führt Ounouri in dieses Gebäude und zu einem Platz, auf dem ein Widerstandskämpfer öffentlich hingerichtet wurde. Noch heute trage er die Wut auf die französische Armee im Herzen, sagt er. Eine kurze Montage von Archivaufnahmen lässt das brutale Vorgehen des Militärs Revue passieren.

Ende der 1950er Jahre ging El Hadi nach Frankreich, wo sich die FLN seiner annahm: Sie half den algerischen Immigranten bei der Arbeitssuche und verlangte von ihnen Mitgliedsbeiträge. El Hadi sagt, er sei freiwillig ein Fidaï geworden, um einen aktiven Beitrag zur Revolution zu leisten. Man gab ihm eine Pistole und einen ersten Auftrag: die Ermordung eines Funktionärs der Algerischen Nationalbewegung MNA, mit der sich die FLN erbittert bekriegte. El Hadi stellte keine Fragen. Er wollte schießen, aber die Waffe war defekt. Auch beim Auftrag, einen marokkanischen Cafébesitzer zu erschießen, reichte ihm die Auskunft, es handele sich um einen Verräter.

Ounouri hilft dem Prozess des Erinnerns nach, indem er seinem Großonkel eine Pistole in die Hand drückt und mit ihm an den Tatorten die Szenen minutiös nachspielt. Diese ungewöhnliche Art der Nachinszenierung und der Dialog, den die beiden im Anschluss über Gefühle, Gewissen und Moral führen, bilden das auffälligste und wirkungsvollste Gestaltungsmittel des Films, zu dessen Produzenten auch der chinesische Regisseur Jia Zhangke gehört. Eine weitere stilistische Besonderheit ist die Spiegelung des Selbstverständnisses El Hadis durch poetische Worte einer Frau aus dem Off. Ihre arabische Rezitation eines Gedichts von Pier Paolo Pasolini wirkt wie eine Huldigung an den Freiheitskampf eines Fidaï. Ounouris Porträt seines Großonkels ist geprägt von Respekt, Zuneigung und Familiensinn.

In der intimen Nähe, die der Film herstellt, scheinen die Schatten einer ganzen Epoche auf. Der algerische Unabhängigkeitskrieg wurde nicht nur gegen den französischen Gegner geführt. El Hadis Beitrag zur Revolution waren Anschläge auf arabische Immigranten in Frankreich. In der zeitlichen Distanz enthüllt sich mehr vom tragischen Aspekt solcher historischen Zusammenhänge. Die Aufarbeitung dieser komplexen Vergangenheit scheint noch lange nicht abgeschlossen zu sein.

Fidaï

Die Umwälzungen in der arabischen Welt lassen ihre junge Generation auch vermehrt nach ihren geschichtlichen Wurzeln fragen. Der französische Filmemacher Damien Ounouri hat eine Dokumentation über seinen Großonkel gedreht, der erst jetzt, nach 50 Jahren, über seine Rolle im algerischen Unabhängigkeitskrieg spricht. Mohamed El Hadi Benadouda wurde mit 19 Jahren ein „Fidaï“ – ein Mann, der sein Leben dem Kampf für eine höhere Sache verschreibt.
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