Familienbande

Eine Filmkritik von Peter Osteried

Wie das Leben so spielt

Die irische Produktion You’re Ugly Too – der Sinn des Titels erschließt sich am Ende – debütierte auf der diesjährigen Berlinale und kommt zum Ende des Jahres auch regulär ins Kino. Mark Noonan präsentiert mit seinem Debüt ein kleines, aber mitreißendes Drama.
Will (Aiden Gillen) wurde sechs Monate vor dem Ende seiner Gefängnisstrafe entlassen, aber er muss sich täglich bei seinem Bewährungshelfer melden. Freigelassen wurde er nur, weil seine Nichte Stacey (Lauren Kinsella) vor wenigen Wochen ihre Mutter verloren hat und nun allein ist. Will soll sich um sie kümmern. Er bringt das elfjährige Mädchen in eine Wohnwagensiedlung, in der ihre Mutter einen Caravan besessen hat.

Ein neues Leben soll es sein. Aber so sehr die beiden auch umeinander tänzeln, wirklich näher kommen sie sich nicht. Er nicht, weil er ihrem Drängen, ihr davon zu erzählen, wieso er im Gefängnis war, nicht nachgibt. Und sie nicht, weil sie das ohnehin weiß, aber es von ihm hören will. Was sie haben, ist ihre frotzelnde Art, der irische raue, aber herzliche Umgangston, der auch den Zuschauer verzaubert.

In Mark Noonans Langfilmdebüt gibt es amüsante Momente, auch viel zu schmunzeln, aber das Dramatische wird nie vernachlässigt. Es wird aber auch nicht zum Melodrama erhöht. Noonan beschreitet einen schmalen Weg, das aber meisterlich. Er hat damit einen kleinen, unaufgeregten Film erschaffen, den man so schnell nicht vergisst.

Weswegen Will im Gefängnis war, kann man erahnen. Die Auflösung ist nicht überraschend, das muss sie aber auch nicht sein. Sie sagt etwas über Will aus, aber längst nicht alles. Der Mann hat seine Fehler, er ist nicht perfekt, und das weiß er auch. Aber man erkennt die aufrichtige Liebe für seine Nichte, was das Kommende umso tragischer macht. Denn Noonan steuert nicht auf ein falsches Happyend hin. Er hat für seine Geschichte einen Abschluss gefunden, der in dieser Form weit wichtiger ist: glaubwürdig, bittersüß und mit der entfernten Möglichkeit, dass vielleicht doch noch alles ganz gut wird. So gut es eben sein kann, wenn man in dieser Situation ist.

Aiden Gillen, bekannt durch Game of Thrones, spielt zurückhaltend, sympathisch, immer mit einem Hauch von Traurigkeit im Blick. Während Lauren Kinsella als seine Nichte sich auch einer Stereotypisierung verweigert. Sie spuckt, sie flucht, sie hat Narkolepsie und sie drängt ihren Onkel, mit der verheirateten Nachbarin anzubandeln.

Obwohl Noonan sich hauptsächlich auf Will und Stacey konzentriert, findet er in seinem kompakten Film auch Zeit für andere Figuren: die aus Belgien stammende Lehrerin Emilie und ihr rumänischer Mann Tibor, mit dem sie nichts außer der gemeinsame Sohn verbindet. You’re Ugly Too ist aber vor allem die Reise von Will und Stacey, die übrigen Figuren werden dadurch aber nicht weniger plastisch und erleben ihre eigenen, kleinen, nicht minder tragischen Geschichten.

Kameramann Tom Comerford hat das in Bilder voller Seele gehüllt. Er fängt die Schönheit der Tristesse ein und bildet damit den Rahmen für die ungleichen Hauptfiguren, deren gegenseitige Wertschätzung immer intensiver wird. Eine Wirkung, die auch You’re Ugly Too entfaltet und die noch lange nach Verlassen des Kinos spürbar ist.

Familienbande

Die irische Produktion „You’re Ugly Too“ – der Sinn des Titels erschließt sich am Ende – debütierte auf der diesjährigen Berlinale und kommt zum Ende des Jahres auch regulär ins Kino. Mark Noonan präsentiert mit seinem Debüt ein kleines, aber mitreißendes Drama.
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Meinungen

@PollySees · 10.11.2015

Bei Tragik-Komödien gibt es ja häufig das Problem, dass man entweder die Tragik oder den Humor vergeblich im Filmwerk sucht. Aber dass die Iren eine besondere Ader haben, Melancholie mit feinem Humor zu mischen, ist in vielen ihrer Filme, Bücher und Musikstücke zu merken. So auch in diesem zarten Film, der auf ruhige und sensible Art erzählt, wie sich zwei Menschen, die beide gerade große Verluste hinnehmen mussten, auf einander zu bewegen, sich zoffen und trösten und manchmal auch ganz offen hassen. Einige Witze werden nur bei den Erwachsenen landen, andere dafür nur bei den Kindern. Auch wenn für die jüngeren Zuschauer nicht immer ganz ersichtlich ist, was zwischen den Zeilen erzählt wird, schafft es der Regiedebutant Mark Noonan, in den Bildern und der Atmosphäre eine emotionale Dichte zu erzeugen, die Kinder verstehen können. Auf der Berlinale lief der Film in der Sparte „Generation“, die speziell für Kinder und Jugendliche ist. In den Kinos wird er im ganz normalen Erwachsenen-Programm gezeigt. Die FSK-Angabe liegt bei 6 Jahren, was vielleicht ein bisschen früh ist, aber für Kinder und Jugendliche ab 10 Jahren, als auch für deren Eltern, hat der Film einiges an Humorvollem und Nachdenklichem zu bieten. Wie man allerdings von diesem wirklich pointierten englischen Titel zu „Familienbande“ kommt, der sich nach mittelseichter Vorabendserie anhört, wird wohl ein Rätsel bleiben...
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