Everest (2015)

Im Höhenwahn

Auf dem Mount Everest braucht man keine Konkurrenz. Dafür hat man den Berg. Er hat seine eigenen Regeln, sein eigenes Wetter und immer wieder verschlingt er die Menschen, die ihn besteigen. Zur Zeit ist der Everest das Grab für über 200 Leichen, die dort verbleiben müssen, da es unmöglich ist sie zu bergen.

Erstmals im Jahr 1953 bestiegen, wurde in den 1990er Jahren die Besteigung des mit 8848m höchsten Bergs der Erde zu einer Einkommensquelle. Erfahrene Bergsteiger bieten seither für einen Fixpreis nicht-professionellen Kunden eine geführte Tour zum Gipfel an. Im Jahr 1996 gab es ganze dreißig dieser Touren – und im Basislager trat man sich die Füße gegenseitig platt. Hier setzt Baltasar Kormákur (2 Guns, The Deep) mit seinem Film Everest an. Basierend auf den wahren Begebenheiten eines Unglücks von 1996 inszeniert er eine Bergtragödie der klassischen Art: Sein Protagonist Rob Hall (Jason Clarke) ist der Anführer der neuseeländisch/australischen Expedition „Adventure Consultants“. Im letzten Jahr konnte er keinen seiner Kunden zum Gipfel bringen – umso größer ist der Druck in diesem Jahr. Zumal noch ein Reporter dabei ist, der eine große Titelgeschichte über Rob und sein Unternehmen schreiben will.

Derweil wartet zuhause Robs Frau Jan (Keira Knightley) hochschwanger mit der gemeinsamen Tochter. Rob gilt als väterlicher Expeditionsleiter; er will alle seine Kunden sicher ans Ziel und wieder zurück bringen. Sein US-amerikanischer Kollege Scott Fisher (Jake Gyllenhaal, Southpaw) und seine Firma „Mountain Madness“ sind dagegen eher die verrückten Hippies. Scott ist ein wenig großspurig, ein wenig sehr laissez-faire. Beide Gruppen haben den Aufstieg für den gleichen Tag geplant und arbeiten daher zusammen — der erste in einer Reihe fataler Fehler. Durch die Kommerzialisierung und die Masse an Expeditionen ist der ohnehin schon gefährliche Aufstieg nun zu einem Wettlauf um Zeit, Geld und Prestige geworden. Hinzu kommt, dass die meisten Klienten weder die Erfahrung noch die Kondition haben, einen solchen Berg zu erklimmen. Aber sie versuchen es doch. Und so folgt man ihnen den Berg hinauf, wissend, dass es nicht gut gehen kann. Es kommt zu Staus auf 8000m Höhe, weil Seile fehlen und zu viele Menschen gleichzeitig die Engpässe passieren müssen; die Umkehrzeit der Expedition wird nicht beachtet – und als wäre all dies nicht tödlich genug, ändert der Berg die Spielregeln und lässt einen Sturm heraufziehen.

Eines muss man Everest lassen: die Aufnahmen der Berglandschaft sind atemberaubend. Den Aufstieg inszeniert Kormákur nicht nur spannend, sondern auch gut erklärt, so dass man als Nicht-Kenner der Materie erahnen kann, wo man ist und wie die Bedingungen sind. Die Geschichte selbst ist ebenfalls atemberaubend; Everest funktioniert wie ein klassischer Katastrophenfilm. Man weiß, dass es schlimm enden wird und fiebert umso mehr mit den Figuren mit. Aber hier kommt es auch zu ersten Problemen: Um dem Chaos und der schieren Masse an Figuren Herr zu werden, die eine originalgetreue Umsetzung dieses Unglücks erfordert hätte, hat sich Kormákur zu Reduktionen entschlossen, die zwar verständlich sind, aber auch ein unausweichliches Gefühl von Anglozentrismus hinterlassen: Die taiwanesische Expedition, die gleichsam an den Ereignissen beteiligt war und Seite an Seite mit der amerikanischen und neuseeländischen auf dem Berg an- und ebenso in das Unwetter kam, lässt er weg. Genauso die indische und die japanische Expedition, die eine andere Route nahmen, aber ebenfalls herbe Verluste erlitten. Übrig bleiben – bis auf die Sherpas und eine japanische Nebenfigur (Yasuko Namba, eine der wenigen Frauen, die alle Seven Summits bestiegen hat, wird hier mit wenigen Szenen abgefrühstückt) – ausschließlich weiße, westliche Figuren. Übrigens ist der Berg genauso weiß wie das Ensemble. Es ist unmöglich, den Everest zu besteigen, ohne nicht an bestimmten, gut bekannten und strategischen Punkten über erfrorene Leichen anderer Bergsteiger zu stolpern. In Everest gibt es aber nur den Berg und seinen gleißend schimmernden Schnee in 3D.

Dabei versucht der Film vor allem, Rob Hall als eine Art tragischen Helden zu inszenieren, Sam Fisher nimmt wiederum eine antagonistische Rolle ein. Eine ähnliche Paarung entsteht durch Beck Weathers (Josh Brolin), einen lautmauligen, reichen Texaner, und Doug Hansen (John Hawkes), einen einfachen Briefträger, die beide an der Expedition teilnehmen. Diese klassische Heldeninszenierung stört zunehmend, vor allem wenn man bedenkt, dass Hall mehrmals fahrlässig handelt und aus kommerziellen Gründen das Leben vieler Menschen in Gefahr bringt. Hier schwankt Everest zwischen klassischen Erzählstrukturen und dem Wunsch, auch kritisch mit den Gründen der Katastrophe umzugehen. Letztendlich verliert die Kritik gegen die Dramatik und stellt die Ereignisse eher als wetterbedingtes Unglück dar.

Everest bleibt also ein ambivalentes „Filmvergnügen“. Sieht man den Film einfach als actionreiches Katastrophenkino, so wird man seinen Kick bekommen. Aber wehe, man denkt über den Film länger nach oder recherchiert sogar die Ereignisse, auf denen diese Geschichte basiert.

(Festivalkritk Beatrice Behn, Filmfestspiele Venedig 2015)

Everest (2015)

Auf dem Mount Everest braucht man keine Konkurrenz. Dafür hat man den Berg. Er hat seine eigenen Regeln, sein eigenes Wetter und immer wieder verschlingt er die Menschen, die ihn besteigen. Zur Zeit ist der Everest das Grab für über 200 Leichen, die dort verbleiben müssen, da es unmöglich ist sie zu bergen.

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Meinungen

Sascha · 02.10.2015

Guter Film, wahnsinnige Bilder. Nach Gravity der 2. Film wo ich den 3D Aufschlag nicht bereut habe.
Wer "Nordwand" mag, wird auch diesen Film mögen.
Was die gute Frau Behn mit ihrem letzten Satz in der Kritik meint, wäre schön zu wissen ... Selbst Szenen, wo ich dachte, künstlerische Übertreibung des Regisseurs, haben sich bei Recherche als "historisch belegt" dargestellt.