Erich Mielke - Meister der Angst

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Die Entkräftung des Dokumentarischen

Es ist die Großaufnahme der Fingernägel Erich Mielkes, die jeden Zuschauer warnen sollte. Sie sind recht lang – und spätestens, wenn er einige Szenen später genüsslich ein zu hart gekochtes Frühstücksei pellt, ist klar: Erich Mielke ist der Böse. Der Teufel. Fast ein Wiedergänger von Robert de Niro aus Angel Heart. Allerdings entpuppt sich Erich Mielke – Meister der Angst dann (leider) nicht als Neo-Noir-Gruselfilm, sondern als konventionelles Doku-Drama über den Minister für Staatssicherheit.
Der Film von Jens Becker und Maarten van der Duin besteht zum einen aus dokumentarischen Filmausschnitten und Interviews mit Zeitzeugen und zum anderen aus nachgespielten Szenen. Dabei ist in den dokumentarischen Passagen viel über Mielkes Leben und insbesondere über die Zeit bis zu seinem Aufstieg in der DDR einiges zu erfahren: Aufgewachsen in beengten, armen Verhältnissen im Berliner Wedding schloss sich Mielke der KPD an und floh nach dem Doppelmord an zwei Polizisten in der Weimarer Republik nach Moskau. Hier besuchte er die Internationale Lenin-Schule der Komintern, die ihn ausbildete. Den Zweiten Weltkrieg verbrachte er in Belgien und Holland, ehe er sich dann aus Überzeugung in die sowjetische Besatzungszone begab, Leiter einer Polizeistation wurde und systematisch die Nähe von Entscheidungsträgern suchte. Bei allem, was Erich Mielke tat, handelte er dem Film zufolge aus einer wie auch immer fehlgeleiteten, aber von ihm durch und durch gelebten Überzeugung. Sein Anwalt Hubert Dreyling betont daher auch, dass er ein einfacher Mann mit einer simplen Lebensanschauung war. Er habe weder getrunken noch geraucht, hatte keine Affären, sondern hat sich voll und ganz der SED verschrieben – bis zum Ende.

Diese Passagen des Films sind aufschlussreich und dienen zudem als gute Erinnerung an die Ereignisse, die zum Ende der DDR führten. Weitaus problematischer sind hingegen die Spielszenen, die diesem Film nicht nur einen Rahmen geben, sondern auch die Deutung mitliefern sollen. Erich Mielke (Kaspar Eichel) sitzt 1991 im Gefängnis, eine Psychologin (Beate Laaß) soll seine Verhandlungsfähigkeit feststellen. Eigentlich hat Mielke bisher weitgehend geschwiegen, ihr gegenüber öffnet er sich aber. Mit Hut, Hornbrille, Stock und Puschen gibt Eichel den Mielke als schlecht rasierten, renitenten Rentner, der die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat: „In anderen Zeiten hätten Sie bei mir anfangen können“, sagt er einmal gegenüber der Psychologin, die in der Regel geschäftig Sätze aufschreibt. Anfangs spricht Mielke teilweise holzschnittartige Dialogzeilen noch mit ihr, bald direkt mit der Kamera. Mal ist der Tisch vom Fenster abgewandt, weil es ihn anstrenge, ins Licht zu gucken (Achtung Symbolik!), dann steht er wieder in der Ausgangsposition. Diese Szenen sind überflüssig und liefern keine Anhaltspunkte – noch schlimmer wird es allerdings in einer Szene, in der Mielke einen Albtraum in seiner Gefängniszelle hat. Anscheinend macht ihm das Ende der DDR und damit sein Versagen zu schaffen.

Darüber hinaus soll in diesen nachgespielten Szenen auch Spannung suggeriert werden. Wenn der damalige Gefängnisleiter erwähnt, dass Mielkes Augen eiskalt gewesen seien, nähert sich die Kamera den bisher von dem Hut beschatteten Augen und der gespielte Mielke blickt plötzlich auf. Diese Inszenierungen wären nicht nötig gewesen, dann die Lebensgeschichte Mielkes böte gerade verbunden mit den oft gescholtenen Zeitzeugeninterviews ausreichend Stoff: Allein die Erzählung über seine Rolle in den Schauprozessen zum Beginn der DDR in Verbindung mit Aufnahmen aus dem Gefängnis Höhenschönhausen ist furchterregender als jede inszenierte Betonung des Manipulators und Angstverbreiters Mielke. Roland Jahns Erzählung über die Angst, die er empfunden hat, als er verhaftet wurde – ehe der Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde ausgewiesen wurde – ist spannend und aufschlussreich. Denn für einen Film mit dem Untertitel Meister der Angst geht es erstaunlich wenig um die Mechanismen der Angst, obwohl die Regisseure gerade durch die nachgespielten Szenen jede Möglichkeit gehabt hätten, ihnen nachzugehen. Stattdessen verschwenden sie diese Zeit mit küchenpsychologischen Deutungen.

Am Ende fühlt sich dann die Psychologin, die eigentlich „keine Richterin, keine Anwältin“ sein wollte, bemüßigt, Mielke darauf hinzuweisen, dass das juristische Urteil über ihn noch nicht gefällt sei, aber das „Urteil vor der Geschichte“ schon – und sie verweigert ihm den verabschiedenden Handschlag. Vermutlich sollte hiermit dann noch einmal sicher gestellt werden, dass auch wirklich jeder Zuschauer begriffen hat, dass Mielke ein böser Mann ist.

Erich Mielke - Meister der Angst

Es ist die Großaufnahme der Fingernägel Erich Mielkes, die jeden Zuschauer warnen sollte. Sie sind recht lang – und spätestens, wenn er einige Szenen später genüsslich ein zu hart gekochtes Frühstücksei pellt, ist klar: Erich Mielke ist der Böse. Der Teufel. Fast ein Wiedergänger von Robert de Niro aus „Angel Heart“. Allerdings entpuppt sich „Erich Mielke – Meister der Angst“ dann (leider) nicht als Neo-Noir-Gruselfilm, sondern als konventionelles Doku-Drama über den Minister für Staatssicherheit.
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