El Clan (2015)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Familienwahnsinn einer ganz anderen Art

Es ist ein ruhiger Abend. Alex (Peter Lanzani) sitzt mit seiner Verlobten auf dem Sofa und wartet auf die Heimkehr seiner Familie. Der Braten ist auch schon fertig. Im Hintergrund spielt Musik. Plötzlich wird die Tür eingetreten, eine Horde Polizisten betritt das Haus, Waffen im Anschlag. Alejandro wird in den Keller geführt, das Licht flackert, die Polizisten schreien. Die Musik wird immer lauter. Als sie endlich aus ist, hört man das Wimmern einer Frau. Sie ist in einem Verschlag im Keller in Ketten. Das ist das Ende des berühmt-berüchtigten Pucchio-Clans und der Anfang des Filmes, der in erratischen Bildern und Sprüngen die Geschichte des Familienclans erzählt.

In Argentinien spielte Der Clan sofort einen Besucherrekord ein. Kein Film in Argentinien wurde bisher in so schneller Zeit von so vielen Leuten gesehen. Das mag daran liegen, dass die Pucchios ein Faszinosum, ja, quasi Argentiniens Familie Frankenstein sind, die noch heute durch Presse und Boulevard-Zeitungen gehen. Umso schwieriger ist es, sich bei diesem Film nicht dem Hype, der Morbidität und der Überzeichnung hinzugeben. Es ist dem Regisseur, Produzenten und Drehbuchschreiber Pablo Trapero (White Elefant) zu verdanken, dass der Film nicht auf Boulevard-Niveau gerutscht ist, sondern einen sehr ernsten und differenzierten Blick auf die Familie wirft. Sogar die Überlebenden und Opfer haben den Film in Gänze gutgeheißen.

Der Clan beginnt im Jahr 1983. Arquímedes Puccio (Guillermo Francella) ist ein Mann mittleren Alters mit strahlend blauen Augen, weißem Haar und einem Gesicht, dass freundlich aussieht, es aber nie wirklich ist. Seine Ehefrau, eine Lehrerin, und er haben fünf Kinder: drei Söhne und zwei Töchter. Arquímedes arbeitet für die Militärregierung, die bekannt dafür ist, Menschen verschwinden zu lassen. Arquímedes kidnappt Menschen. Er hält sie in seinem Haus gefangen, verlangt Lösegeld von den Familien und erschießt die Opfer danach trotzdem. Seinen Sohn Alex, ein erfolgreicher und beliebter Rugby Spieler, zwingt er dazu, ihm zu helfen. Der Junge muss potentielle Opfer ausfindig machen, bei den Entführungen mitmachen oder die Koffer mit dem Geld einkassieren. Dafür bekommt er etwas Geld und — viel wichtiger — Anerkennung von dem stets kühlen Vater. Und genau das braucht der Junge, er sehnt sich nach der väterlichen Nähe, mit der Arquímedes ihn wiederum kontrollieren kann. Auch der Rest der Familie steht unter dem väterlichen Pantoffel – und wenn allabendlich die Hilfeschreie und das Jammern der Opfer durch die Wohnung klingen, versuchen die einzelnen Familienmitglieder, allesamt mehr oder weniger einer Art Stockholm-Syndrom erlegen, sie zu ignorieren und zu rationalisieren. Für einige wie die Mutter macht der Vater nur, was er muss, um die Familie zu beschützen und für sie zu sorgen. Andere leiden darunter und ertragen diesen schizophrenen Zustand zwischen Familienidylle, Sonntagsbraten und vor Todesangst brüllender Menschen auf Dauer nicht. Dann ist die Diktatur endlich vorbei, das Elend könnte ein Ende habe. Aber Arquímedes macht weiter. Wie sonst soll er Geld verdienen? Doch so einfach ist es nicht. Nach dem Wegfall des diktatorischen Systems ändern sich zwei Dinge: Zum einen ist die Arbeit nicht mehr eingebettet in ein hilfreiches System, das beide Augen zudrückt, zum anderen ist die pseudomoralische Erklärung, warum diese Arbeit getan werden muss, nicht mehr vorhanden. Wie also fortan vor sich selbst rechtfertigen, dass man Menschen kidnappt, quält und tötet?

Wahrhaftig, diese Geschichte ist so eigen(artig), dass man kaum glauben mag, dass sie wirklich passiert ist. Der Clan weiß um dieses Phänomen und arbeitet sich durch die vielen Schichten hindurch, nicht auf der Suche nach der ultimativen Wahrheit, aber nach einer tieferen Einsicht. Dabei springt der Film immer wieder in Zeitebenen herum und teilt seine Sicht zwischen Vater und Sohn auf. Das kann mitunter konfus wirken, es ist aber auch ein gutes Stilmittel, die erratischen, schizophrenen und komplexen Ereignisse zu zeigen – und vor allem die emotionale Seite der Familienmitglieder mitzubedenken. Und so bombardiert der Film seine Zuschauer mit hochgradig ambivalenten Bildern und emotionalen Momenten. Während Alex das erste Mal Sex im Auto mit seiner Freundin hat und diese vor Lust schreit, kidnappt der Vater ein neues schreiendes Opfer – und im Hintergrund spielt The Kinks „Sunny Afernoon“, Die Schreie überlagern sich, die Emotionen ebenfalls.

El Clan (2015)

Es ist ein ruhiger Abend. Alex (Peter Lanzani) sitzt mit seiner Verlobten auf dem Sofa und wartet auf die Heimkehr seiner Familie. Der Braten ist auch schon fertig. Im Hintergrund spielt Musik. Plötzlich wird die Tür eingetreten, eine Horde Polizisten betritt das Haus, Waffen im Anschlag.

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Meinungen

Sascha · 04.04.2016

sehr abgefahrene Geschichte, umso unheimlicher, daß diese wahr ist. Der Abspann des Films (was wurde aus dem Clan macht es noch mal ein Stück unheimlicher). Einziger Minuspunkt: Soundtrack - wahrscheinlich vom Regisseur als "Kontrapunkt" absichtlich so gesetzt - mir ging dieser bei der Thematik als nicht passend ziemlich auf den Zeiger.

mehmet ali can · 09.01.2016

schön "