El Camino de San Diego

Eine Filmkritik von Verena Kolb

Kick it like Maradonna

Es gibt Filme, die man unterwegs sieht, auf Reisen. Und manchmal sind diese Filme so gut, dass man einfach drüber schreiben muss, ganz egal, ob diese Filme jemals einen deutschen Verleiher finden und damit den Weg auf die Leinwände schaffen werden. El Camino de San Diego ist solch ein Film, den unsere Mitarbeiterin Verena Kolb auf einer Reise nach Lateinamerika entdeckt hat und den sie vorstellen möchte. Und wir hoffen, dass dieser Film seinen Weg in die Kinos finden wird – das Zeug dazu hat er allemal.
Carlos Sorín hat in Europa vor allem durch seine beiden Patagonien-Filme Historias mínimas und Bombón, der Hund auf sich aufmerksam gemacht. Sein jüngster Spielfilm ist gerade in den argentinischen Kinos angelaufen und heißt El Camino de San Diego, was man, drückt man sich schlampig aus, schnell mit dem „camino de Santiago“, der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela im spanischen Galicien, verwechseln könnte. Und diese Ähnlichkeit ist kein Zufall: Schließlich begibt sich der Held, Tati, auf eine lange Reise vom äußersten Nordwesten Argentiniens in die Hauptstadt Buenos Aires, um dem erkrankten Diego Armando Maradona einen hölzernen Doppelgänger vorbeizubringen – eine Pilgerfahrt mit mehr als nur religiösen Zügen.

Wie in keinem anderen Land in Südamerika kann der Fußball in Argentinien mit einer Volksreligion verglichen werden. Wenn in Buenos Aires die beiden lokalen Mannschaften, River und Boca, aufeinander treffen, ist das ein Fest, das alle Schichten und Altersklassen vereint. Die Spieler werden Göttern und Heiligen gleich verehrt und beschenkt; und Diego Maradona ist auch Jahre nach seinen Spielfelderfolgen noch immer heilbringender Hauptgott und das Zentrum der Anbetung für die gläubigen Massen.

So erscheint dem langjährigen Maradona-Fan Tati also im argentinischen Urwald der ‚Größte’ aller Fußballgötter höchstpersönlich in Form einer durch ein Unwetter freigesetzten Baumwurzel. Die Ähnlichkeit des Holzes mit Diego Maradona ist unverkennbar: Ein jubelndes Gesicht, die krausen Locken und zwei in die Höhe geworfenen Arme, die den Sieg verkünden – das Lieblingsbild aller Maradona-Anhänger. Stolz trägt Tati die Wurzel nach Hause, poliert sie und schnitzt der Figur eine „10“ in den Rücken – Maradonas Nummer auf dem Spielfeld, als er noch in der Nationalmannschaft spielte. Und weil Diego Maradona eben erst ins Hospital eingeliefert worden ist, was im ganzen Land eine Volkstrauer ausgelöst hat, sieht Tati keine andere Möglichkeit, als alle Ersparnisse zusammenzutragen und sich mit der Statue als Opfergeschenk auf den Weg zu machen und zum ‚heiligen Diego’ nach Buenos Aires zu pilgern.

Auf seiner Reise erlebt Tati unterschiedlichste Geschichten und Abenteuer und trifft immer wieder auf Verbündete, die ihm weiterhelfen, wenn er die Statue auspackt und von seiner Mission berichtet. So geraten Tati und der ihm zum Freund gewordene brasilianische Lastwagenfahrer „tudo bom“ in eine Straßenblockade. Tati macht sich Sorgen, dass er zu spät kommen könnte; aber bei den Streikenden ist nichts zu machen: „Heute Nacht kommt niemand mehr durch.“ Als Tati die Wurzel mit der Silhouette Maradonas in die Höhe hält, hält die Streikmannschaft für kurze Zeit inne; dann machen sie den Weg frei und lassen die beiden ziehen; die Musik wird lauter, der Triumph ist perfekt, die Diego-Statue wird unter Jubelschreien durch die Menge getragen und erlebt ihren wohl glorreichsten Moment.

Der Film lebt – abgesehen von der Glanzleistung des Hauptdarstellers, Ignacio Benítez – vor allem von seinen kleinen Geschichten und Beobachtungen. Wie Carlos Sorín schon mit Historias mínimas und Bombón, der Hund zauberhafte Portraits vom südlichen Patagonien gezeichnet hat, gelingt es ihm ebenso, den Norden des Landes wunderbar in Bilder umzusetzen. Subtil beschreibt er Alltag, Mentalität und den Glauben der Menschen im Urwald von Misiones. Da ist der Dorfpfarrer, der – mehr Maradona-Anhänger denn seinen Aufgaben der Nächstenliebe und der Caritas verpflichtet – auf Tatis Frau einredet, Tati doch auf seine Reise gehen zu lassen. Und auch die Nachbarin, der spirituelle Kräfte nachgesagt werden, sagt Tati eine glückliche Reise voraus; er „muss“ gehen – und ihr ein Autogramm des Fußballhelden mitbringen. Nachdem Tati bei einem Schwarzmarkthändler eine Einwegkamera gekauft hat und von einem Polizisten erwischt wird, geschieht nichts weiter, außer dass ihm geraten wird, sich das nächste Mal einen Beleg für den Schwarzkauf geben zu lassen. El Camino de San Diego ist wie seine Vorgänger der Film eines Argentiniers über Argentinien, durch den man das Gefühl hat, das Land und seine Leute (noch ein wenig besser) kennen gelernt zu haben.

El Camino de San Diego

Es gibt Filme, die man unterwegs sieht, auf Reisen. Und manchmal sind diese Filme so gut, dass man einfach drüber schreiben muss, ganz egal, ob diese Filme jemals einen deutschen Verleiher finden und damit den Weg auf die Leinwände schaffen werden.
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