Eisheimat

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Auswandern nach Island

„Landarbeiterinnen aus Deutschland gesucht“. Dieser kurze Anzeigentext vom isländischen Bauernverband stand im Jahr 1949 in norddeutschen Zeitungen. Kurze Zeit später wagten über 300 junge Frauen den Schritt auf die für sie völlig unbekannte Insel im Nordatlantik. Eine von ihnen traf Regisseurin Heike Fink während eines Islandaufenthaltes im Jahr 2009 zufällig an einer Tankstelle. Am Akzent wurde sie von Anita Valtysdóttir als Deutsche erkannt, zu einem Kaffee eingeladen und erfuhr ihre Lebensgeschichte. Heike Fink wusste, dass sie darüber einen Film machen will, – und hat mit sechs Frauen gesprochen, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nach Island auswanderten.
Für ein Jahr hatten sie sich anfangs verpflichtet, für 400 isländische Kronen, Unterkunft und Verpflegung die landesüblichen Arbeiten in Landwirtschaft und Haushalt zu verrichten. Anita war noch unter 21 Jahre alt, als sie 1949 Lübeck gen Island vor allem aus Abenteuerlust verließ. Andere waren arbeitslos oder wurden von ihren Müttern genötigt, nach Island zu gehen. Es wartete harte Arbeit in meist entlegenen Gegenden auf die Frauen. Sie plagten sich mit Sprachproblemen, Einsamkeit, Ausbeutung und Heimweh. Viele kehrten nach einiger Zeit enttäuscht nach Deutschland zurück. Die sechs Frauen, mit denen Heike Fink spricht, sind geblieben, vollends glücklich sind sie indes auch nicht alle geworden.

Mit bemerkenswerter Offenheit erzählen die Frauen, wie es ihnen ergangen ist. Sie sprechen von kargen Lebensbedingungen, sexuellen Zudringlichkeiten und Ausgrenzung, aber auch von Offenheit, Freundlichkeit und Liebe. Dabei wird vor allem deutlich, wie sehr ihr persönliches Glück von dem Mann abhing, den sie letztlich geheiratet haben. Während eine der Frauen ihre große Liebe gefunden hat – „gesehen, geliebt, zusammen geblieben“ –, bedauert eine andere, dass sie sich überhaupt zur Heirat entschloss. Noch immer lebt sie mit ihrem Mann in Hvammstangi, doch sie ist überzeugt, dass sie ohne ihn ein besseres Leben gehabt hätte. Er bestand darauf, dass sie und die Kinder viel arbeiten, verbot ihr, mit den Kindern deutsch zu sprechen, und ist auch bei den Gesprächen mit Heike Fink immer dabei – obwohl er kein Wort versteht. Dadurch entsteht die befremdliche Situation, dass sie nicht gerade freundlich über ihn spricht, während er lächelnd neben ihr sitzt. Anna Karolina Gústafsdóttir war hingegen eine der wenigen Frauen, die mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter nach Island kam. Doch er wurde nach wenigen Wochen zurückgeschickt, weil er nicht arbeiten wollte. Sie war mit dem zweiten Kind schwanger und landete bei einem alleinstehenden Mann, bei dem sie als Haushälterin arbeiten sollte. Und das bedeutete, „auch im Bett“ für ihn da zu sein. Erst nachdem sie fünf weitere Kinder von ihm bekommen hat, heiratete er sie, so dass sie die isländische Staatsbürgerschaft erhalten konnte. Er war ein schwerer Alkoholiker, hat als Maurer aber gut verdient und so blieb sie wegen der Kinder bei ihm. Ihr Leben, so betont sie, hat indes erst begonnen, nachdem er gestorben ist.

Erstaunlicherweise erzählt sie – wie auch die anderen Frauen – ihre Geschichte ohne Bitterkeit. Es war einfach so, und keine der Frauen weiß, ob sie in Deutschland ein besseres Leben gehabt hätte. Deshalb können sie auch nicht beantworten, ob sie noch einmal nach Island gehen würden. Mittlerweile sind sie dort angekommen, haben Kinder und Enkelkinder. Aber sie empfinden alle eine unstillbare Sehnsucht nach Heimat, die sie in Island nicht finden konnten. Doch es waren andere Zeiten und andere Möglichkeiten. Fast beiläufig erzählt eine von ihnen, dass sie vielleicht nicht nach Island gegangen wäre, hätte sie die Ausbildung in Deutschland machen dürfen, die sie wollte. Es sind solche Bemerkungen, die sehr viel über das damalige Leben einer jungen Frau erzählen.

Heike Fink lässt die Frauen weitgehend erzählen und zeigt sie überwiegend in Interviews. Unterbrochen werden diese Sequenzen von Naturaufnahmen Islands, unterlegt mit Musik. Diese einfache Struktur des Films erlaubt eine Konzentration auf die Geschichten der Frauen, die zweifellos sehr berühren. Dennoch hätten gerade zu Beginn einige eingreifende Hinweise und eine Einordnung in gesamtgesellschaftliche Hinweise geholfen, schneller in das Thema hineinzufinden. Auch verzichtet Heike Fink – bis auf den Abspann – auf Namensnennung, so dass man die thematisch angeordneten, aber zu verschiedenen Zeiten gedrehten Interviewauszüge erst zu einer Lebensgeschichte zusammensetzen muss. Dabei ist Eisheimat zum einen ein Film über deutsche Auswanderung, die im Gegensatz zu den Emigrationswellen des 18. und 19. Jahrhunderts nach Amerika weit weniger bekannt ist. Zum anderen aber erzählt der Film eindringlich über Lebensbedingungen von Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft.

Eisheimat

„Landarbeiterinnen aus Deutschland gesucht“. Dieser kurze Anzeigentext vom isländischen Bauernverband stand im Jahr 1949 in norddeutschen Zeitungen. Kurze Zeit später wagten über 300 junge Frauen den Schritt auf die für sie völlig unbekannte Insel im Nordatlantik. Eine von ihnen traf Regisseurin Heike Fink während eines Islandaufenthaltes im Jahr 2009 zufällig an einer Tankstelle.
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