Eat Sleep Die

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Die Frau mit dem Fahrrad

Mit dem ersten Bild stecken wir mitten im Leben der 21-jährigen Raša (Nermina Lukač), die sich auf ihrer Geburtstagsfeier eine kleine, freundschaftliche Prügelei mit ihrem besten Freund Nicki (Jonathan Lampinen) liefert. Seit fünf Jahren arbeitet sie in einer Fabrik, in der Gemüse verpackt wird, und wohnt mit ihrem Vater zusammen in einer kleinen Stadt im Nordwesten von Skåne. Sie kennt sowohl bei der Arbeit als auch in ihrem sozialen Umfeld jeden, ist beliebt, burschikos und zufrieden mit ihrem Leben.
Dann kündigt sich die Katastrophe an: Die Fabrik muss Stellen kürzen und im Gegensatz zur neuen Kollegin Eva, für die dieser Job nur eine Zwischenstation ist, ist er für Raša Mittelpunkt. Sie hat nie darüber nachgedacht, etwas anderes zu machen. Als sie später bei einer Übergangsmaßnahme von der Arbeitsamtsmitarbeiterin gefragt wird, was ihre persönlichen Vorzüge seien, sagt sie, sie könne 175 Gramm Rucola mit der Hand abwiegen und 12 Packungen in 4,5 Sekunden stapeln. Andere Talente fallen ihr nicht ein, weil sie sich niemals Gedanken gemacht hat, was sie in ihrem Leben eigentlich will. Deshalb wirken die hohlen Phrasen der Arbeitsvermittler, sie solle die Entlassung als „Chance begreifen“, noch aufgesetzter – und Raša versteht Ratschläge wie „sie solle sich Gelegenheiten selbst schaffen“ allzu wörtlich. In ihrem Leben verwendet man solch geschwurbelte Worthülsen nicht, sondern arbeitet und kümmert sich umeinander.

Mit leisem Sinn für bitteren Humor erzählt Regisseurin, Drehbuchautorin und Cutterin Gabriele Pichler in ihrem hervorragend besetzten Debütfilm Eat Sleep Die von dem Alltag einer jungen Frau, die in Montenegro geboren wurde und seit ihrem erstem Lebensjahr in Schweden lebt. Für Raša geht es nicht um Träume oder Selbstverwirklichung, sie will mit ihrem Vater zusammen sein und arbeiten. Ihren Alltag begleiten Kameramann Johan Lundberg und Gabriele Pichler mit der Handkamera, sie folgen Rašas Bewegungen, die ständig zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs ist. Im Zusammenspiel mit den ausgeblichenen Farben und den Amateurschauspielern entsteht Authentizität, die niemals aufdringlich oder aufgesetzt wirkt. Vielmehr kontrastieren die nahezu dokumentarischen Bilder die Absurditäten in Rašas Leben. Sie würde einen Job bekommen, wenn sie einen Führerschein hätte. In ihrem Umfeld kann ihr keiner das Geld leihen, aber auch die Arbeitsvermittlung kommt nicht dafür auf. Stattdessen soll sie sich auf ihre Hobbys besinnen, damit sie ohne Arbeit ihren Alltag füllen kann. Ihr Freund Nicki, der gerne mit Tieren arbeiten würde, bekommt durch Vermittlung seines Onkels einen neuen Job – auf einem Schlachthof. Und der Arzt, der Rašas Vater aufgrund seines Rückens keine Arbeitsunfähigkeit bescheinigen wollte, weil das Formular doch sehr aufwendig ist, tadelt ihn, dass er erneut nach Norwegen gegangen ist, um zu arbeiten. Denn schließlich sei Geld nicht alles.
Mit diesen Widersprüchen kennzeichnet Gabriele Pichler den Alltag von Raša und ihrem Vater in all seinen Widersprüchen und porträtiert Schweden als Einwanderungsland. Oft befürchtet Raša, sie würde aufgrund ihres Familiennamens für eine Araberin gehalten werden und hätte deshalb bei der Arbeitssuche schlechtere Chancen.

Lautstark weist sie deshalb darauf hin, dass sie Schwedin sei. Als ihre Bekannten und ehemaligen Arbeitskollegen über die Moslems lästern, die ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen, sagt sie, dass es nicht stimmt, weil sie und ihr Vater auch Moslems wären. Die anderen reagieren überrascht, da sie und ihr Vater doch so gar nicht das Klischee erfüllen. Dadurch ermöglicht Gabriele Pichler eine neue Perspektive auf ihre Heimat, und sie kennt dieses Leben selbst. Ihre Eltern kommen aus Österreich und Bosnien, sie wurde in einem Vorort von Stockholm geboren und ihre Familie zog später in eine ähnliche Kleinstadt. Um zur Filmhochschule zu gehen, verließ sie ihren Job in einer Keksfabrik. Deshalb wollte sie nach eigener Aussage einen Film über die Menschen machen, die sie liebte, für die sie sich manchmal aber auch ein wenig geschämt hat.

Eat Sleep Die steht in der Tradition skandinavischer Sozialdramen und realistischer Filme wie beispielsweise der Gebrüder Dardenne. Mit Nermina Lukač in der Hauptrolle hervorragend besetzt, folgt Gabriele Pichler in ihrem Film wie zuletzt Debra Garnik in Winter’s Bone einer bemerkenswerten jungen Frau in ihrem Leben und fängt bei allem Realismus auch poetische Momente, Wärme und Gesten des Zusammenhalts ein. Schließlich ist Raša noch jung genug, damit ihr Leben nicht nur aus „essen, schlafen, sterben“ besteht. Jedoch wird sie dafür vielleicht ihre Freunde und ihren Vater zurücklassen müssen.

Eat Sleep Die

Mit dem ersten Bild stecken wir mitten im Leben der 21-jährigen Raša (Nermina Lukač), die sich auf ihrer Geburtstagsfeier eine kleine, freundschaftliche Prügelei mit ihrem besten Freund Nicki (Jonathan Lampinen) liefert. Seit fünf Jahren arbeitet sie in einer Fabrik, in der Gemüse verpackt wird, und wohnt mit ihrem Vater zusammen in einer kleinen Stadt im Nordwesten von Skåne. Sie kennt sowohl bei der Arbeit als auch in ihrem sozialen Umfeld jeden, ist beliebt, burschikos und zufrieden mit ihrem Leben.
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