Dreileben

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Mord hoch drei

Von der Theorie zur Praxis: Das ist eine viel versprechende Richtung. Die deutschen Regisseure Christian Petzold (Yella), Dominik Graf (Im Angesicht des Verbrechens) und Christoph Hochhäusler (Unter dir die Stadt) sind den Weg in beeindruckend kreativer Weise gegangen. Nach einem Gedankenaustausch über die Ästhetik der „Berliner Schule“, über die Kritik von Graf daran und über sein Plädoyer für mehr Genre-Kino beschlossen die drei, ihre Erkenntnisse in einem Gemeinschaftsprojekt umzusetzen. Daraus wurde ein kleines Gesamtkunstwerk des deutschen Films und einer der Höhepunkte der Berlinale 2011, wo das Viereinhalbstunden-Werk am Stück gezeigt wurden.
Dreileben heißt die Kooperation, die von den Fernsehsendern WDR, BR und ARD Degeto ermöglicht wurde. Das Ganze besteht aus drei Filmen mit jeweils rund 90 Minuten Länge. Gemeinsam haben sie einen Teil ihres Plots: in einer Kleinstadt im thüringischen Wald entkommt ein verurteilter Frauenmörder und versteckt sich tagelang im Wald, ohne dass man ihn findet. Das ist der Kern, um den die drei Regisseure ihre eigenen Geschichten stricken. Dabei bleiben sie bei ihrer eigenen Handschrift und beziehen sich trotzdem aufeinander: Indem sie zum Beispiel die Protagonisten eines anderen Films als Nebenfiguren durchs Bild laufen lassen oder kurze Einstellungen aus den anderen Beiträgen zitieren.

Dreileben nähert sich der Krimihandlung von den Rändern her. Der erste Film ist der von Christian Petzold. Er heißt Etwas Besseres als den Tod und erzählt eine zarte Liebesgeschichte, die in tragische Wut umschlägt. Der Zivildienstleistende Johannes (Jacob Matschenz) und das Zimmermädchen Ana (Luna Mijovic) interessieren sich gar nicht für die Flucht des Mörders. Sie haben nur Augen füreinander. Aber diese Weltabgewandtheit holt die in kraftvollen Bildern erzählte Sommerliebe am Ende ein. Die ungleichen sozialen Verhältnisse — er gutsituiert, sie mit „Migrationshintergrund“ — und eine nicht beendete frühere Liebe lassen die unschuldige Romanze an innere Grenzen stoßen. Dadurch wird sie hineingezogen ins äußere Geschehen, so dass am Ende die Frage höchst virulent erscheint, wo eigentlich der entlaufene Frauenmörder steckt. Auch zuvor verliert Christian Petzold die im Wald lauernde Gefahr nie aus den Augen und erhöht mit gezielten Genre-Anleihen die Spannung.

Ein Stück tiefer in den Kern des Verbrechens zielt Krimi-Spezialist Dominik Graf. Er begleitet in Komm mir nicht nach die Polizeipsychologin Johanna (Jeannette Hain) an den Einsatzort in Thüringen, wo sie ihre alte Freundin Vera (Susanne Wolff) wieder trifft. Graf bewegt sich im Genre des Polizeifilms wie ein Fisch im Wasser. Er verwebt mehrere Erzählstränge, macht das Geschehen undurchsichtig und schafft ein Klima von Korruption und Unsicherheit. Aber letztlich driftet er ein ganzes Stück vom Genre weg und folgt den unbewältigten Geschichten der beiden Frauen, die beide denselben Mann liebten, ohne voneinander zu wissen. Die Wunden der Vergangenheit brechen auf und aus dem Krimi wird ein Psycho-Drama.

Mitten ins Zentrum des Geschehens begibt sich schließlich Christoph Hochhäusler mit Eine Minute Dunkel. Er inszeniert die Flucht des Täters Frank Molesch (Stefan Kurt) und seine Verfolgung durch einen gewitzten Kommissar, der zwar krankgeschrieben ist, aber von dem Fall nicht lassen kann und mehr herauskriegt als seine Kollegen im Dienst. Christoph Hochhäusler lässt sich von den Strategien eines „Kinos der Angst“ inspirieren, übersetzt sie aber in seine eigene Bildsprache. In kunstvollen Einstellungen spiegelt er die subjektiven Ängste des Täters, der sich der Natur des Waldes in ihrer ganzen Bedrohlichkeit ausliefert und eine nie erlebte Panik entwickelt, ständig auf Tuchfühlung mit den Verfolgern. So schließt sich am Ende die vielschichtige Geschichte von Dreileben, erlebt von unterschiedlichen Figuren, aus unterschiedlichen Perspektiven und in einem je eigenen Rhythmus.

Die außergewöhnliche Kooperation zeigt ebenso wie die jüngsten Filme anderer Regisseure diesseits und jenseits der „Berliner Schule“, dass der künstlerische Höhenflug des deutschen Films noch lange nicht beendet ist. So viele neue Talente wie in den letzten Jahren gab es selten. Und dass sie gemeinsam versuchen, stilistische Sackgassen zu vermeiden, ist das Sahnehäubchen obendrauf. In der Praxis noch mehr als in der Theorie.

Dreileben

Von der Theorie zur Praxis: Das ist eine viel versprechende Richtung. Die deutschen Regisseure Christian Petzold (Yella), Dominik Graf (Im Angesicht des Verbrechens) und Christoph Hochhäusler (Unter dir die Stadt) sind den Weg in beeindruckend kreativer Weise gegangen. Nach einem Gedankenaustausch über die Ästhetik der „Berliner Schule“, über die Kritik von Graf daran und über sein Plädoyer für mehr Genre-Kino beschlossen die drei, ihre Erkenntnisse in einem Gemeinschaftsprojekt umzusetzen.
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Meinungen

Ina Olschewski · 05.11.2012

Das Motiv dieses Filmes und den Wunsch, mal was anderes zu machen, sind recht löblich. Das Ergebnis dagegen: mutwillige Verwicklungen, aussagelos, Aneinanderreihungen, persiflierte Polizisten, pubertäre Gespräche, hintergrundlose Geheimnisgrämerei, ein bißchen Natur und Liebe für's Gemüt, Vortäuschung von Tiefen (psychischen und handlungsbezogenen), Boheme-Leben im alten Haus = klischeehaft, eine wegge Mutti und die noch Profilerin = ebenso klischeehaft, lächerlich und unüberzeugend,evtl. noch als Werbefilm für die thür. Landschaft und die Klöße zulässig. Fazit: Peinlich, dumm und lächerlich. Lange nicht mehr so viel gemischten Mist auf einem Haufen gesehen. Und wenn die Fachleute die Kameraführung loben, ja aber spielen der Inhalt und die Konzeption denn keine Rolle? Mutti würde sagen: Tu das nie wieder!

Kritik Teil 2 · 30.08.2011

..oben soweit die positive Resonanz aus den drei Filmen. Es muss jedoch erwähnt werden dass die drei Teile doch Des öfteren Längen aufweisen und v.a. in den Teilen 1+3 einen nur recht dürftige inhaltliche Handlung auf 90 min ausgedehnt wird. Zwar wirken die drei Teile schlüssig, lassen den Zuschauer aber oft verzweifeln, da nur wenig überraschendes passiert.