Dogtooth (2009)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Abschottung von der bösen Welt, der Rückzug ins Private und die totale Isolation ist für Diktaturen oft der letzte Weg, um das Unrechtsregime gegen das Gift des Niedergangs zu wappnen. Das kann man derzeit im Iran ebenso beobachten wie in Nordkorea oder anderswo. In Giorgios Lanthimos verstörendem Film Dogtooth / Kynodontas, der in Cannes den Hauptpreis der Reihe „Un certain regard“ erhielt und der auch auf dem Filmfest München gezeigt wurde, ist die Diktatur, um die es dabei geht, eine private, die die Mitglieder einer Familie vor den Anfechtungen der Außenwelt beschützen soll. Doch die Verweise auf die Politik sind unübersehbar.

Kaum etwas erfährt man über die Familie, um die es in diesem Film geht, weder den Namen des Vaters (Christos Stergioglu), der Mutter (Michelle Valley) oder der drei nahezu erwachsenen Kinder (Aggeliki Papoulia, Mary Tsoni und Hristos Passalis) noch den Wohnort. Und ebenso wenig erklärt wird das seltsame Verhalten der Eltern, die ihre Kinder in einer Art Gefangenschaft halten. Um ihre Kinder von allen schädlichen Einflüssen der Außenwelt abzuschirmen, dürfen die Kinder das Haus nicht verlassen und lernen über Kassetten eine eigene Sprache, die nahezu allen Dingen neue Namen und Bezeichnungen gibt. Gemeinsam vertreiben sich die Kinder die Zeit mit merkwürdigen Spielen und leben in der Hoffnung, das Gefängnis verlassen zu dürfen, wenn sie einen Eckzahn verlieren – so wurde es ihnen von ihren Eltern versprochen.

Die einzige Verbindung zur Außenwelt besteht in Christina (Anna Kalaitzidou), einer jungen Sicherheitsangestellten in der Firma des Vaters, die sich dazu bereit erklärt hat, den erwachenden sexuellen Regungen des Sohnes Abhilfe zu schaffen. Doch was als Triebabfuhr und –regulierung gedacht ist, wird das strenge Gefüge der Familie immer mehr ad absurdum führen. Denn durch Christina bahnt sich die Außenwelt den Weg in den Familienverbund. Und als Christinas Besuche enden, suchen die „Kinder“ nach einem Ausweg aus der Gefangenschaft. Denn obwohl sie kaum etwas von der Welt da draußen wissen, spüren sie, dass ihr Leben kein normales ist…

Beklemmend und rätselhaft wirkt Dogtooth, der zweite Filme des griechischen Regisseurs Giorgos Lanthimos: Die starren Kameraeinstellungen, der emotionale Kälte und Regungslosigkeit, mit der der Film vom Inzest unter den Geschwistern, von der radikalen Unterwerfung der Kinder unter den Willen der Eltern, von Manipulation und seelischer Grausamkeit in ihrer perfidesten Form nüchtern berichtet, der grimmige Humor, der immer wieder die Absurdität der Situation in grotesken Szenen einfängt und die eruptiven, meist autoaggressiven Gewaltausbrüche – all dies ist eigentlich denkbar spröde eingefangen und übt doch eine ganz eigene Faszination aus, der man sich nicht entziehen kann.

Komisch, wie sehr dieser Film aus Griechenland immer wieder auf Österreich verweist: Die Kargheit und die Strenge der Versuchsanordnung erinnert an Michael Haneke, dessen vom Grundtenor recht ähnlicher Film Das weiße Band ja den Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes gewann. Einzelne Bilder und der kalt-distanzierte Tonfall der Erzählung könnte gut und gerne von einem Regisseur wie Ulrich Seidl oder Michael Haneke stammen, die Geschichte wirkt wie eine Erzählung von Elfriede Jelinek und erinnert vage an die Vorkommnisse von Amstetten. Ob dies nun Zufall ist oder nicht: Was Dogtooth mit den genannten Vorbildern eint, ist die Erbarmungslosigkeit, mit der Machtstrukturen (oft in Form patriarchaler Strukturen) und die Banalität des Bösen offen gelegt werden, ohne dabei den moralischen Zeigefinger zu erheben. Urteile fällt dieser Film ebenso wenig wie seine Vorbilder – das Grauen des Alltäglichen, das Böse im Haus nebenan, es spricht für sich. Wenn man einen Blick (und den Mut) hat, um genau hinzuschauen.

Giorgios Lanthimos‘ sperrige Parabel war 2011 für den Academy Award als „bester nicht-englischsprachiger Film“ nominiert und ging leider am Ende leer aus. Umso erfreulicher, dass es das bitterböse Werk zwar nicht ins Kino, aber immerhin auf DVD geschafft hat. Und so besteht eigentlich keine Ausrede mehr, sich dieses Unikum nicht anzuschauen — selbst auf die Gefahr hin, dass einem dieser Film noch wochenlang nachhängen wird. Eine bitterböse Studie über Faschismus und autoritäre Strukturen im Privaten wie im Politischen – und gerade deshalb ein Film, der dringend nötig ist.
 

Dogtooth (2009)

Die Abschottung von der bösen Welt, der Rückzug ins Private und die totale Isolation ist für Diktaturen oft der letzte Weg, um das Unrechtsregime gegen das Gift des Niedergangs zu wappnen. Das kann man derzeit im Iran ebenso beobachten wie in Nordkorea oder anderswo.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen