Die Zeit die bleibt

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Wie ein Egoist stirbt

Zugegeben, die kurze Inhaltsbeschreibung von Die Zeit die bleibt / Le Temps qui reste klingt wenig verlockend: Romain (Melvil Poupaud), ein schwuler, gut aussehender Modefotograf im zarten Alter von 30 Jahren ist an einem bösartigen Gehirntumor erkrankt. Die Chancen auf Heilung tendieren gegen Null. Die vom Arzt empfohlene, jedoch wenig aussichtsreiche Therapie kommt für ihn nicht in Frage. Die titelgebende Zeit, die ihm noch bleibt, das sind gerade einmal drei Monate. Wie Romain diese Zeit für sich nutzt, zeigt der neue Film von François Ozon auf ganz beeindruckend intensive Weise.

Romain behält die Hiobsbotschaft zunächst einmal für sich. Nichts und niemanden lässt er an sich heran kommen. Seinen Mitmenschen gegenüber benimmt er sich als arroganter Egoist. Von oben herab behandelt er seine ihm schon längst fremd gewordene Schwester Sophie (Louise-Anne Hippeau) und auch zu seinen Eltern (Marie Rivière) hat er nicht gerade ein herzliches Verhältnis. Die Beziehung mit seinem Freund Sascha (Christian Sengewald) beendet er kurzerhand. Nur seine geliebte Großmutter, grandios gespielt von Jeanne Moreau, der Diva und Muse der französischen Neuen Welle, weiht er in das Geheimnis seiner unheilbaren Krankheit ein. Bei ihr fühlt er sich ohnehin am wohlsten und geborgen, denn sie ist wie er – dem Tod nicht mehr weit entfernt. In ihren Armen bricht er die Mauer auf, die er anderen gegenüber so beharrlich verteidigt.

So hart sich Romain gegenüber seinen Mitmenschen auch ausgibt, so sehr glaubt man, in seinen Augen einen Schimmer des Bedauerns ausmachen zu können. Da kommt immer wieder eine schmerzhafte Trauer zum Vorschein, die sonst tief unter der abweisenden Oberfläche begraben zu scheint. Da ist ihm anzumerken, dass er diese Distanz am liebsten abbauen würde. Doch dafür steht er sich zu sehr selbst ihm Weg. Über seinen eigenen Schatten wagt er nur zaghaft zu springen. Erst als er mit dem absurden Wunsch der Raststätten-Kellnerin Jany (herrlich unsicher verkörpert durch Valeria Bruni-Tedeschi) konfrontiert ist, seinen Samen für ihr Kind zu spenden, lässt er sich auf die Bedürfnisse anderer Menschen ein. Für ihn nicht zuletzt die Chance auf ein Vermächtnis. Ein Nachkomme, dem er sein Hab und Gut vererben kann – ohne jegliche Vorstellung davon, in welchen Umständen das Kind aufwächst.

Die Zeit die bleibt / Le Temps qui reste ist ein Film über einen sterbenden Menschen – eigentlich ein trostloses Thema, wäre da nicht Regisseur François Ozon am Werk gewesen. Der 38jährige Franzose widmet sich in seinen Filmen ganz unterschiedlichen Themen und dennoch ist immer wieder sein besonderer Stil, der sich durch sein intensives Einfühlungsvermögen in die Gefühle seiner Figuren auszeichnet, anzutreffen. In Swimming Pool (2003) führte er uns die konfliktgeladene Beziehung zweier konträrer Frauen vor Augen, in 5x2 (2004) erzählt er uns rückwärts vom Scheitern einer Ehe, in Unter dem Sand / Sous le Sable (2000) beschäftigt er sich mit einer verzweifelten Frau, die um ihren verschwundenen Mann trauert. Unter dem Sand / Sous le Sable war der Auftakt von Ozons Trauer-Trilogie, die er nun mit Die Zeit die bleibt fortsetzt. Der letzte Teil der Serie soll sich um einen Kindestod drehen.

François Ozon ist Meister der Darbietung schwieriger wie intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen. Dabei hat er nicht nur ein Händchen für die sehr feinfühlige Inszenierung seiner Figuren, sondern auch für noch für die Besetzung, für die er bis in die Nebenrollen brillante Schauspieler castet. Allein schon das geniale Schauspiel von Die Zeit die bleibt / Le Temps qui reste macht einen Besuch dieses Filmes auf jeden Fall lohnenswert.
 

Die Zeit die bleibt

Zugegeben, die kurze Inhaltsbeschreibung von Die Zeit die bleibt / Le Temps qui reste klingt wenig verlockend: Romain (Melvil Poupaud), ein schwuler, gut aussehender Modefotograf im zarten Alter von 30 Jahren ist an einem bösartigen Gehirntumor erkrankt.

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Meinungen

Michi · 28.01.2008

ich habe den film leider erst im TV gesehen, aber alleine die beeindruckende darstellung des sterbenden, in der Melvil Poupaud sich selbst übertrifft macht diesen sehr französischen film zu einem muss für liebhaber des ruhigen europäischen film. dazu kommen noch die anderen charaktäre, dieden film abrunden und zugleich kanten geben: die vermittelnde mutter, der gleichzeitig b´verständnisvolle wie auch distanzierte vater, die hysterische vom leben enttäuschte schwester, der an den egoist gewöhnte und gleichzeitig rebellierende liebhaber, die kellnerin samt mann, die keine kinder bekommen kann und nicht zuletzt die jugendlich gebliebene und zugleich alt gewordene großmutter.
mein fazit: ab in die videothek und anschaun... am besten mit auch nah am wasser gebauten freunden, mit denen man die hochkochenden und doch auf distanz gehaltenen emotionen genießen und erleben kann!

jerry · 17.10.2006

Ein toller Film. Absolut empfehlenswert!!

kurzt · 12.05.2006

grandiose darsteller, schöne bilder, aber leider kitschig.

Thomas · 26.04.2006

Der vielleicht beste Film, den ich jemals gesehen habe. Romain ist kein stahlender Held, der in den wenigen Monaten, die ihm bleiben, zu einem völlig neuen Menschen wird. Ihm gelingt es, mit seinen Fähigkeiten sich von den Menschen, die ihm lieb sind und auch den Orten, die eine Bedeutung für ihn haben, zu verabschieden. Das geschieht ohne Dramatik und viele Tränen. Dennoch habe ich bei den Szenen geschluckt, in denen er sich von seinem Vater, seiner Oma, seiner Schwester und seinem Freund verabschiedet. Diese Abschiede sind so ehrlich und menschlich; sie lenken den Fokus auf das, was im Leben wirklich wichtig ist: Mitgefühl, Trauer, Ehrlichkeit, Würde...zunächst leugnet er in seinem oberflächlichen Leben diese Werte und er lebt sei am Ende sehr eindrucksvoll, ohne irgendeine Selbstgefälligkeit. Alltagsszenen bekommen eine Bedeutung, die zutiefst den Lebenssinn ansprechen. So gelingt es Romain, obwohl er sich mit seinem bevorstehenden Tod auseinandersetzen muss, doch noch, sich in andere Menschen hinein zu versetzen. So besorgt er seinem Ex einen Job, so erfüllt er die beiden Wünsche seiner Mutter (die scheinbar nicht zu erfüllen sind).Er wird damit zu einem (in seinem Rahmen) mitfühlenden Menschen, der aus seinen auf Karriere ausgerichteten, egozentrischen Leben gerissen wird. Romain stirbt alleine, aber das tun wir alle - denn diesen Weg kann kein anderer für ihn gehen. Und doch ist er zum Schluss in das Leben eingebettet, in einen Kreislauf (einem Sonenuntergang folgt auch ein Sonnenaufgang). Wenn man sich auf den Protagonisten einlassen kann, ist der Film GENIAL.

Vati · 25.04.2006

Unsympathischer Hauptsdarsteller, altes Thema, aber ganz gut gemacht und mit Jeanne Moreau noch mal ein richtiger Kracher in einem mäßigen Film. Passt doch.