Die Vierte Macht (2012)

Eine Filmkritik von Florian Koch

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Mit Genrefilmen tun sich die Deutschen traditionell schwer. Aber wer will den hiesigen Produzenten die Zurückhaltung auch verübeln? Misserfolge wie Tim Fehlbaums starker Horrorthriller Hell oder Laus Kraumes düstere Zukunftsvision Die kommenden Tage sprechen eine deutliche Sprache. Deutsche Kinofilme scheinen nur dann für ein breites Publikum interessant zu sein, wenn sie aus dem Komödienbereich kommen oder sich explizit an Kinder richten. Mit diesem ernüchternden Kinokassen-Gesetz kennt sich auch Dennis Gansel aus, dem 2008 mit der Adaption von Die Welle noch ein echter Überraschungserfolg gelang. Sein zugegebenermaßen wenig geglückter Frauen-Vampirfilm Wir sind die Nacht konnte jedoch nur knapp über 100 000 Besucher anlocken. Bissfester zeigte sich da wieder einmal die Konkurrenz aus den USA. Dennoch ist es dem begabten Filmemacher hoch anzurechnen, dass er den Kopf nicht hängen ließ und mit Die Vierte Macht erneut einen deutschen Genrefilm an den Mann bringen will. Und Gansel braucht sich mit seinem brisanten und erstklassig besetzten Politthriller wirklich nicht zu verstecken.

Bereits mit dem Prolog, in dem ein ganzer Wohnblock dem Erdboden gleichgemacht wird, schürt Gansel gekonnt das Interesse und deutet damit auch schon geschickt das eigentliche Thema seines Films an. Dabei spürt man in der eigentlichen Exposition von Die Vierte Macht noch nichts von der möglichen Terror-Gefahr. Da stellt Gansel erst noch ausführlich seinen Hauptprotagonisten, den Szenejournalisten Paul Jensen (Moritz Bleibtreu) vor. Paul hat die Schnauze voll von Berlin und seiner gescheiterten Ehe. In Moskau kann er nicht nur untertauchen, sondern dank des mächtigen Zeitungsverlegers Onjegin (Rade Serbedzija) auch noch groß rauskommen. Der erinnert sich nämlich noch sehr genau an Pauls verstorbenen Vater, und gibt Paul, der kaum russisch spricht, sofort einen Redakteursjob. Der Lebemann soll mit seinen Ideen das siechende Boulevard-Blatt Moscow Match wieder auf Vordermann bringen. Gemeinsam mit dem lebenslustigen Fotografen Dima (Max Riemelt) stürzt er sich in die Partyszene und genießt das wilde Nachtleben in vollen Zügen.

Nach dem Rausch folgt immer auch die Ernüchterung. Und die zeigt Gansel mit einer überraschenden Zeitlupensequenz. Vor den Augen von Paul wird auf offener Straße ein Mann umgebracht, der sich später als systemkritischer Journalist herausstellt. Gansel, der hier auf den politisch motivierten Mord an Anna Politkowskaja anspielt, macht jetzt nicht den Fehler und verwandelt Paul sogleich in einen kritischen Aufklärer des Verbrechens. Der ist zwar geschockt, aber doch mehr an der hübschen Kollegin Katja (Kasia Smutniak) als an dem Fall interessiert. Er begehrt Katja, und begleitet sie deswegen rein aus Gefallsucht auf illegale Demonstrationen. Erst als die Rätselhafte mit einem Rucksack bepackt in die Moskauer U-Bahn verschwindet, und der Rückstoß einer gewaltigen Explosion Paul ausknockt, kann er sich nicht mehr aus der Politik heraushalten.

Bis zu diesem Zeitpunkt funktioniert Die Vierte Macht als packender, temporeich erzählter Thriller mit ungewöhnlichem Setting, dem vielleicht aber noch das gewisse Etwas fehlt. Diese Zutat kommt just in dem Moment, als Paul die Tür zu einer Gefängniszelle aufmacht. Was er jetzt sieht, zählt zu den stärksten Bildern des Films. Mindestens 30 Augenpaare starren ihn, und indirekt auch den Zuschauer, an. Auf engstem Raum stehen, liegen und sitzen sie, die ausgezehrten, verdreckten Polit-Häftlinge Russlands. Da wirkt Paul in seinem adretten Anzug wie ein Außerirdischer, der verständlicherweise nicht gerade freudig begrüßt wird. Aber bevor man den Deutschen, der ohne öffentliches Verfahren erst einmal festgehalten wird, zerfleischt, hält der Mitgefangene Aslan (Mark Ivanir) seine schützende Hand über ihn. Und wieder ist es die Verbindung zu seinem Vater, die Pauls Leben entscheidend verändert.

Diese Knastszenen sind von Gansel hart und ungemein realistisch inszeniert, und müssen Vergleiche zu einem Meisterwerk wie Ein Prophet nicht scheuen. Besonders Ivanir, ein ukrainischer Charakterdarsteller, der bereits in Filmen wie Schindlers Liste mitspielte, entfaltet im Zusammenspiel mit Moritz Bleibtreu eine enorme Präsenz. Und gerade über seine beeindruckend vielschichtige Figur stellt Gansel die brisanten politischen Bezüge her.

Das Film-Russland wird deutlich mit dem autoritären System Putins parallelisiert. Besonders dessen harte Hand im Umgang mit Tschetschenien wird, auch wenn Putins Name verständlicherweise nie genannt wird, scharf kritisiert. Die Vierte Macht entfaltet dabei eine gar nicht weit her geholte Verschwörungstheorie über von der russischen Regierung inszenierte Bombenattentate, die tschetschenischen Freiheitskämpfern in die Schuhe geschoben werden und dem russischen Premierminister die Wiederwahl sichern. Das gefährliche Spiel mit der Angst und den daraus resultierenden, die Freiheit einschränkenden Antiterror-Maßnahmen wird in Die Vierte Macht sehr deutlich und erstaunlich offen thematisiert. Die klare Positionierung von Gansel ist mutig, aber nicht polemisch-einseitig. Denn glaubwürdig zeigt Die Vierte Macht auch, mit welcher Brutalität die gefangenen tschetschenischen Guerillakrieger gegen Verräter oder Andersdenkende vorgehen.

Dennis Gansel ist nicht erst seit seinem beeindruckenden TV-Debüt Das Phantom ein erklärter Fan von Politthrillern wie Sydney Pollacks Die drei Tage des Condor. Diese Begeisterung kann man seinem außergewöhnlichen Film deutlich ansehen. Es macht Spass zu beobachten, wie elegant Gansel die komplexen politischen Hintergründe mit dem Krimiplot verknüpft. Eine Hilfe sind ihm dabei auch die hervorragenden Darsteller. Besonders Bleibtreu, der zuletzt unter dem Phänomen der Dauerpräsenz litt, macht endlich mal wieder eine richtig gute Figur. Die Rolle des Paul wurde ihm von Gansel allerdings auch auf den Leib geschrieben. Seine freche Lässigkeit und den Schlag bei den Frauen bringt Bleibtreu genauso überzeugend rüber wie die Frustration und den Kampfeswillen. Da erinnert sein Auftritt stark an die Intensität von Das Experiment.

Auch der restliche, international besetzte Cast überzeugt. Nur Max Riemelt will man den russischen Partylöwen nicht so recht abkaufen. Bei ihm zeigt sich aber auch die größte Schwäche des Films: die Nachsynchronisation. Die Vierte Macht wurde auf Englisch gedreht. Verständlich, denn ein solcher Thriller ist sicherlich auch für den internationalen Markt interessant. Dennoch fällt negativ ins Gewicht, wie asynchron und unstimmig die Übertragung ins Deutsche ausgefallen ist. Nicht ganz stimmig ist auch der Umgang mit der Sprache im Film. Es verwundert nicht nur, dass viele Russen ein blitzsauberes Deutsch sprechen, sondern auch wie Bleibtreu fast ohne Russisch-Kenntnisse überhaupt einen Job bei einer russischen Zeitschrift bekommen kann. Rätselhaft bleibt auch, warum er mitten im Film mehr von der schwierigen Sprache versteht, als es der Logik lieb sein kann. Aber sieht man einmal über den ein oder anderen Schnitzer in der Konstruktion des Plots hinweg, bleibt Die Vierte Macht ein harter, spannender, massenwirksamer Reißer wie man ihn lange nicht in Deutschland gesehen hat.

Viel zum Gelingen von Die Vierte Macht trägt auch die hervorragende Crew bei. Daniel Gottschalks (Krabat) dynamische Kamera ist hier herauszuheben. Nicht nur in den nervenaufreibenden Actionszenen ist sie immer auf Augenhöhe. Auch die düstere Seite Russlands mit all den verfallenen Häusern und den Underground-Clubs fängt Gottschalk hervorragend ein, und verschleiert auch perfekt, dass überhaupt nur zwei Tage in Moskau gedreht wurde. Hauptsächlich entstand Die Vierte Macht in Kiew – ein perfektes Double für die russische Metropole.

Trotz kleinerer Schwächen im Drehbuch ist Dennis Gansel mit dem Polit-Thriller Die Vierte Macht Bemerkenswertes gelungen. Ein fesselnder Genrefilm, der sowohl bestens unterhält als auch kritische Fragen stellt. Die Frage darf erlaubt sein: Wann ist das zuletzt einer Hollywood-Produktion geglückt?
 

Die Vierte Macht (2012)

Mit Genrefilmen tun sich die Deutschen traditionell schwer. Aber wer will den hiesigen Produzenten die Zurückhaltung auch verübeln? Misserfolge wie Tim Fehlbaums starker Horrorthriller „Hell“ oder Laus Kraumes düstere Zukunftsvision „Die kommenden Tage“ sprechen eine deutliche Sprache. Deutsche Kinofilme scheinen nur dann für ein breites Publikum interessant zu sein, wenn sie aus dem Komödienbereich kommen oder sich explizit an Kinder richten.

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Meinungen

Alex · 13.03.2012

Ich kann Florian Koch nur zustimmen. Wir haben uns den Film eben angeschaut und sind sehr beeindruckt.
Freilich kann dieser Film Effektmäßig gesehen nicht mit Feuersbrünsten im 30 Sekundentakt, Autoverfolgungsjagten im 4 Minutentakt und den in der Natur allerorten lauernden grünen Schleimsprühenden, menschenfressenden Ungeheuern mithalten. Allerdings können solche gehirngespinstigen Computerspielnachbauten von der Spannung dieses Film nur träumen. Nichts für schwache Nerven!