Die Tribute von Panem - Mockingjay Teil 1 (2014)

Eine Filmkritik von Björn Helbig

Es kann kein richtiges Leben in der falschen Gesellschaft geben

Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Dieses Postulat von Adorno bedeutet, dass es moralisch geboten ist, eine schlechte Gesellschaft zu verändern. Nur so ist ein gutes individuelles Leben möglich. Was aber, wenn die Revolution selbst nur mithilfe der falschen Mittel möglich ist?

Die Tribute von Panem-Trilogie der amerikanischen Autorin Suzanne Collins wird, wie auch die Verfilmung, als Jugendbuch- bzw. filmreihe vermarket. Nicht, dass die Geschichte auch für junge Erwachsene interessant wäre, doch: Die Trostlosigkeit des Inhalts will erst einmal ertragen und verarbeitet werden. 2012 hat Gary Ross den ersten Teil der Romanreihe kongenial für die Leinwand adaptiert. Ein Jahr später gelang es Francis Lawrence, seinen Vorgänger sogar noch zu überbieten. Nun startet mit Die Tribute von Panem 3 – Mockingjay Teil 1 der erste, ebenfalls von Lawrence inszenierte und in zwei Filme aufgesplittete Teil des dritten und letzten Akts in den Kinos. Eine überragende, in fast allen Belangen konsequente Fortsetzung.

Im ersten Teil Die Tribute von Panem hat Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) das mächtige Capitol ausgetrickst. Im zweiten Teil Die Tribute von Panem: Catching Fire wurde sie mit den vorherigen Gewinnern der Hungerspiele von Präsident Snow (Donald Sutherland) abermals zum Überlebenskampf in die Arena geschickt. Am Ende konnte sie mithilfe einiger Rebellen befreit und in den vermeintlich zerstörten 13. Distrikt gebracht werden. Hier setzt die Handlung von Die Tribute von Panem 3 – Mockingjay Teil 1 ein: Der Widerstand gegen das Capitol ist unter der Führung von Präsidentin Coin (Julianne Moore) in vollem Gange, doch die Rebellion braucht noch ein Symbol für den Kampf. Diese Rolle soll Katniss spielen. Doch sie stellt Bedingungen für ihre Unterstützung. Coin soll zunächst eine Befreiungsaktion für ihren Freund Peeta (Josh Hutcherson), die Tribute Joanna (Jena Malone) sowie Finnicks Freundin Annie (Stef Dawson) veranlassen, die von Präsident Snow gefangen gehalten werden.

Eigentlich wird erst ab diesem Teil deutlich, in welche Richtung sich die todtraurige Handlung entwickelt. Es geht nicht nur um ein perverses, degeneriertes Gesellschaftssystem. Es deutet sich an, dass sich selbst die Revolution dessen Regeln beugen muss. Andere Geschichten hätten mit dem zweiten Teil der Sage bereits ihr Ende gefunden. Die Protagonisten sind entkommen und leben irgendwo glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. Mit dem dritten Teil geht die Geschichte des Landes Panem allerdings erst richtig los. Von glücklich und zufrieden kann in diesem Falle nicht die Rede sein: Der 13. Distrikt entpuppt sich nicht als erhofftes Utopia, sondern als tristes, militärisch straff geführtes Regime mit einer eiskalten Präsidentin. Die ersten beiden Teile haben gezeigt, wie das Unrechtssystem Panem funktioniert. Der dritte Teil handelt vom Aufbegehren der Unterdrückten, kurz: vom Krieg. Und Krieg heißt mit allen Mitteln einen Sieg herbeizuführen, koste es, was es wolle. Was das für die Gesellschaft wie für das Individuum bedeutet, das zeigt Teil 3 sehr geschickt, und wie in den anderen Teilen auch sind die aktuellen Bezüge frappierend. Auf der Strecke bleibt immer die Wahrheit. So funktioniert die von böser Medienkritik (die durch die geschickte Werbung zum Film auch gleichzeitig einen Metakommentar liefert) durchzogene, ganz in der Tradition von Werken wie Orwells 1984 stehende Zukunftsvision nicht als klassischer Action-Blockbuster, sondern zieht seine Kraft ganz aus seiner dystopischen Substanz und der damit verbundenen Tragik der persönlichen Schicksale.

Besonders deutlich wird das an Katniss, der vielleicht ungewöhnlichsten und tragischsten Kinoheldin der letzten Jahre. Nur wenige Entscheidungen hat sie selbst getroffen, die meiste Zeit der Filmhandlung wird sie von anderen manipuliert. Im vorherigen Film wurde sie von Präsident Snow zum Lügen gezwungen. Ihre echten Gefühle musste sie ganz tief in sich einschließen und im wahrsten Sinne gute Miene zum bösen Spiel machen. Dieser innere Konflikt zog sich auf virtuose Weise auch durch Lawrence’ Inszenierung! Nun macht die Lage es nötig, dass Katniss ihren Gefühlen und ihrem Hass auf das Capitol freien Lauf lässt – für die Kamera! Einer der grandiosen Momente des Films zeigt Katniss wie sie voller Scham ansehen muss, wie das von der Medienabteilung des Widerstands bearbeitete Produkt aussieht. Selbst die wahren Gefühle werden instrumentalisiert, möglicherweise mit hehren Zielen diesmal, doch kommt man nicht umhin, die Ähnlichkeit zur Propaganda des Capitols wiederzuerkennen.

Die Entscheidung, das dritte Buch in zwei Teile zu splitten, erweist sich unterdessen als die richtige: Den kompletten Stoff von Mockingjay in nur einem Film unterzubringen, hätte ihn wahrscheinlich gesprengt. Gut 120 Minuten hingegen erweisen sich als die richtige Zeit um alles Wichtige in der angemessenen Länge zu erzählen. Auch so hat Lawrence noch einiges an Handlung zu stemmen, aber er und das Drehbuchteam, bestehend aus Peter Craig und Danny Strong verstehen es ganz ausgezeichnet, vieles nur anzudeuten (großartig: der Luftangriff auf Distrikt 13) oder in pointierten Schlüsselszenen, wie etwa in dem Gänsehautmoment, wenn Katniss das Galgenbaum-Lied singt, deutlich werden zu lassen. Lediglich das trostlose Leben im 13. Distrikt kommt auch in der Zwei-Film-Variante vielleicht etwas kurz. Loben muss man in diesem Zusammenhang allerdings das großartige Design des Films, das selbst voller Geschichte steckt und der Handlungsebene der Erzählung eine Menge Arbeit abnimmt.

Wie die anderen Teile ist auch der dritte nah an der Romanvorlage. Lediglich zwei kleinere Änderungen fallen ins Auge, die beide auf ihre Weise ein Zugeständnis an den Mainstreamgeschmack sind. Die erste, durchaus positiv zu wertende Änderung, ist die Befreiungsaktion von Peeta und den anderen Tributen, die hier im Gegensatz zum Roman in einer sehr spannenden Parallelmontage gezeigt wird. Auch hier wird wieder deutlich, wie viel innovativer die Actionszenen im Vergleich zu 08/15-Blockbustern sind. Die zweite Änderung fällt weniger positiv aus und betrifft Effi Trinket (Elizabeth Banks), Escort für Distrikt 12 und Katniss’ Begleiterin während der Spiele. Sie hat es aufgrund ihrer Beliebtheit bei den Zuschauern anders als im Buch in den dritten Teil geschafft. Eine wichtige Funktion innerhalb der Geschichte hat ihre Figur an dieser Stelle aber nicht mehr.

Trotz dieses Kritikpunkts ist der erste des dritten Teils bereits für sich genommen eine Wucht. Alle Darsteller spielen wahnsinnig gut. Philip Seymour Hoffman, der während der Dreharbeit verstarb, hat noch etliche Szenen, mit denen er wichtige Akzente setzt. Aber vor allem mit Blick auf die gesamte Filmreihe, die sich nun deutlich am Horizont abzeichnet, kommt man nicht mehr umhin, etwas ganz Großes zu erkennen. Bleibt zu hoffen, dass Lawrence und sein Team weiterhin mit der nötigen Konsequenz ans Werk gehen und nicht in vorauseilendem Gehorsam weiteren „Zuschauerwünschen“ in Die Tribute von Panem 3 – Mockingjay Teil 2 nachkommen. Es kann kein richtiges Leben in der falschen Gesellschaft geben (und falsche Ideen im richtigen Film sind auch nicht wünschenswert). Aber kann es eine richtige Gesellschaft geben, die mit falschen Mitteln errichtet wurde? Die Antwort darauf ist nicht trivial, das wusste schon Adorno. Sicher ist aber: Utopia hat immer einen Preis. Und den zahlen immer Menschen. Davon handelt dieser Film.
 

Die Tribute von Panem - Mockingjay Teil 1 (2014)

Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Dieses Postulat von Adorno bedeutet, dass es moralisch geboten ist, eine schlechte Gesellschaft zu verändern. Nur so ist ein gutes individuelles Leben möglich. Was aber, wenn die Revolution selbst nur mithilfe der falschen Mittel möglich ist?

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Meinungen

Rüstem · 28.12.2014

Der beste Pannenfilm, wirklich zum einschlafen. Im trailer wurden Ausschnitte von Teil 2 gezeigt, stinklangweiliger Film.

michelle · 30.11.2014

So ein toller Film gehe morgen noch mal rein :)

Izzy · 25.11.2014

De beste Panemfilm bisher. Unbedingt ansehen!!!!!!

Susan · 21.11.2014

Ich liebe die Panemfilme!!! Am Sonntag schau ich mir den an

isabel · 20.11.2014

Der Film is der Hammer ich liebe ihn jetzt schon♡ich wünschte aber das es noch viel mehr teile gibt oder neu geschrieben und verfilmt werden♡

Minni · 20.11.2014

Ich freu mich so geh gleich heut rein