Die Körper der Astronauten

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Egozentrik ohne Ende

Gleich ein Helmuth-Plessner-Zitat vorneweg, im Anschluss folgen merkwürdig überkommene NASA-Archivaufnahmen aus einer nicht nur räumlich längst vergangenen Pionierzeit der Raumfahrt. Dazu erklingt angenehm reduziertes, rasch faszinierendes Elektronikgefrickel (Musik und Sounddesign: Leonhard Huhn, Christian Lorenzen und Ron Hofmann) aus dem Hintergrund. Der offene Kunstanspruch, die vielen Leerstellen von Alisa Bergers avanciertem Spielfilmerstling Die Körper der Astronauten entfachen einen wunderbar zurückgenommenen, leisen Sog – mit rätselhaftem Tiefgang. „Houston“ – Pause – „Houston“. Wo ist hier die Erde? „Anton, wo bist du?“ Und was ist das überhaupt für ein seltsamer Film?
Zugleich ist ihr aus elliptischen Bruchstellen montiertes, bildstarkes (Kamera: Bine Jankowski) Vater-Zwillinge-Tochter-Drama ein ungewöhnlicher Körper-Film: Michael, das stinkende wie alkoholkranke Familienoberhaupt (gewohnt stark – und immer einen Kinski-Tick zu extravagant: Lars Rudolph), stellt irgendwann die eigene Körperpflege ein. Es muffelt zusehends in der spartanisch eingerichteten Bude, nicht nur zwischenmenschlich. Einzig der eigene Sucht-Exzess mit billigem Fusel-Korn oder Wodka-Fläschchen, die den ungleichen Zwillingen Linda (Zita Aretz) und Anton (Béla Gabor Lenz) sogar zur heimischen Abiturfeier angeboten werden, verschaffen dem heillos überforderten Hauspatron kurzzeitig noch so etwas wie Erlösung – zumindest bis zum nächsten Absturz.

Linda sucht dagegen ihr persönliches Heil aus diesem Katastrophenumfeld in ziellosen Entjungferungsversuchen, die allesamt unglücklich verlaufen – und sie lediglich dem Drogenkonsum näherbringen als der wahren Liebe oder echter körperlicher Nähe. Zugleich versucht sie sich in diesem Chaosalltag als Ersatzmutter und heimliche Familienanführerin wenigstens noch um ihre jüngere Schwester Irene (Luzie Nadjafi) zu kümmern, soweit es die unkontrollierbaren Launen („Ich opfer’ mich ein Leben lang für diese Balgen!“) und Paranoia-Schübe („Irene, Irene: ich verrecke, ich bekomm’ keine Luft mehr!“) des Vaters eben zulassen.

Anton schließlich, Lindas leicht autistisch wirkender, äußerst introvertierter Zwillingsbruder, nimmt plötzlich an einer mysteriösen Medizinstudie teil, die um Langzeitschlaf und Bewegungseinschränkung kreist, wodurch er 60 Tage lang dem heimisch-grotesken Horror entfliehen will. Nach den ersten Checks im Labor angekommen, träumt er sich alsbald – permanent liegend und fort von allen irdischen Sinnen – immer weiter hinein in die Unendlichkeit des Kosmos: Gedanklich ist er dort längst schon zum schwerelosen Superastronauten mutiert, dessen Körper wiederum sich unentwegt in einzelne Partikel auflöst …

Die Körper der Astronauten soll „ein Film über die Sehnsucht der verbannten Körper sein“, beschreibt die unkonventionelle Filmemacherin Alisa Berger dazu im Festivalkatalog des 38. Filmfestivals Max Ophüls Preis in Saarbücken sehr passend ihren recht eigenwilligen Ansatz, worin sich ebenso deutlich ihr erkennbares Interesse für Videokunst und progressive Bildtechniken widerspiegelt. Denn in ästhetischer Hinsicht gehört ihr zwischen Unkontrolliertheit, Fragilität und Lähmung pendelndes Filmexperiment schon jetzt zu den innovativsten Wettbewerbsfilmen des Festivaljahrgangs 2017. Oder um es noch einmal in den Worten Michaels auszudrücken: „Egozentrik ohne Ende“. Gut so.

Die Körper der Astronauten

Gleich ein Helmuth-Plessner-Zitat vorneweg, im Anschluss folgen merkwürdig überkommene NASA-Archivaufnahmen aus einer nicht nur räumlich längst vergangenen Pionierzeit der Raumfahrt. Dazu erklingt angenehm reduziertes, rasch faszinierendes Elektronikgefrickel (Musik und Sounddesign: Leonhard Huhn, Christian Lorenzen und Ron Hofmann) aus dem Hintergrund.
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