Die Jungs vom Bahnhof Zoo

Eine Filmkritik von Lida Bach

"Es war ein großes Abenteuerland."

„War es lustig? War es ‚ne witzige Zeit?“, lautet die erste Frage Rosa von Praunheims an Die Jungs vom Bahnhof Zoo. Im selben Tonfall kommen die Antworten: „Ich würde sie nicht missen wollen.“, „Es gab viele schöne Momente.“ Das „Phänomen“ männliche Prostitution „losgelöst von Klischees zu verdeutlichen“ ist das erklärte Ziel der Kinodokumentation über Die Jungs vom Bahnhof Zoo.
„Phänomen“, der Begriff wirft ein bezeichnendes Licht auf von Praunheims Perspektive. Was am Berliner Bahnhof Zoo zwischen dem Erotik-Museum, Humana und der gleich hinter dem Bahnhof gelegenen Jebenstraße zum Alltag gehört, ist wenig phänomenal. Es ist deprimierend, elend und für die Betroffenen gab es auch „Momente, die nicht so schön waren.“ Heute sind die Titelcharaktere längst erwachsen. Manche haben selbst Kinder wie Romica, der gelegentlich noch anschaffen geht. Die von den Männern in beklemmenden Gesprächen geschilderten Kindheitserinnerungen beschreiben das Stricher-Leben in einem anderen Licht als dem verführerisch-lockenden, in welches von Praunheim es taucht.

Die Mehrheit der Prostituierten sind Opfer von sexuellem Missbrauch, seelischen und physischen Misshandlungen und Vernachlässigung, die meisten von ihnen seit ihrer Kindheit. Das Recht darauf, sich selbst und den eigenen Körper vor den Übergriffen anderer abzugrenzen, haben sie nie gelernt. Daniel-Rene wurde zu Hause gequält, kam zu einem Pflegevater, wurde psychisch terrorisiert und sexuell belästigt, kam ins Kinderheim („die beste Zeit“) und landete dann auf der Straße. Nazif floh als Kind vor dem Bosnienkrieg nach Berlin, prostituierte sich in an Pädophile, wurde abgeschoben und sass später im Gefängnis.

Sollen sie ihn doch einsperren, sagt der österreichische Filmemacher und bekennende Freier Peter Kern. Im Gefängnis werde er die schönsten Stunden erleben, so wie einst Jean Genet. Offenbar war er, anders als Nazif, nicht schon als Minderjähriger in Haft. Dort lernte Nazif lesen und schrieb ein Buch, in dem er seine Erfahrungen im Straßenstrich-Milieu verarbeitete. Heute ist er mit einem ehemaligen Kunden zusammen. Kein einziger der „Jungs vom Bahnhof“ hat sich komplett von der Szene lösen können. Der endgültige Ausstieg gelingt nur einem geringen Prozentsatz der männlichen Prostituierten. Die Aufgabe des Milieus bedeutet auch die der Kontakte — oft die einzigen, die die Betroffenen haben. Von Praunheim verschleiert diesen Kreislauf, der zumeist zu einem Rückfall in die Drogensucht und Kriminalität führt. Die wenigen Sätze, in denen Streetworker die Realität auf der Straße schildern, stehen im scharfen Kontrast zum romantisierenden Blick des Dokumentarfilms.

Die Milieu-Gebundenheit inszeniert von Praunheim als romantische Anhänglichkeit, bei der fröhlich über die eigene Armut und Erkrankungen geplaudert wird. Ein ehemaliger Stricher berichtet, er sei obdachlos, an Diabetes und AIDS erkrankt, worauf sein früherer Freier erwidert, HIV habe er leider nicht — „Oder besser Gott sei dank!“ Der Versprecher passt zu der gleichgültigen Unbedarftheit, mit der die Freier sich und die Szene idealisieren. Im Gefängnis würde er nur zu neuen Filmprojekten inspiriert, behauptet Peter Kern. Rosa von Praunheim inspirierte schon ein Blick auf Die Jungs vom Bahnhof Zoo zu einem.

Die Jungs vom Bahnhof Zoo

„War es lustig? War es ‚ne witzige Zeit?“, lautet die erste Frage Rosa von Praunheims an Die Jungs vom Bahnhof Zoo. Im selben Tonfall kommen die Antworten: „Ich würde sie nicht missen wollen.“, „Es gab viele schöne Momente.“ Das „Phänomen“ männliche Prostitution „losgelöst von Klischees zu verdeutlichen“ ist das erklärte Ziel der Kinodokumentation über „Die Jungs vom Bahnhof Zoo“.
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Meinungen

ralfapple1 · 17.06.2012

Ein sehr guter Film über ein Thema, dass gern verdrängt wird und mit Vorurteilen behaftet ist.

Mark · 13.04.2011

Ich freue mich das es endlich einen guten Film zu diesem schwierigen Thema gibt.

Martha · 12.04.2011

Sehr tiefgehend und wertfrei...

Klausi aus HH · 12.04.2011

toll! rührend! DANKE

Rüdiger Bär · 18.03.2011

Die Vorstellung des Films in Essen war ein Kino-Highlight für mich.

Maria Hänsle · 17.03.2011

Der Film ist ein wichtiger sozialkritischer Beitrag! Danke M.

PHILL · 02.03.2011

WICHTIGER FILM - sehr gelungene Doku

Rene Koch · 26.02.2011

Habe den Film heute in Leipzig geshen und bin tief bewegt.

@Dieter · 26.02.2011

Paranoia? Ich sehe ihn momentan auf Platz 8. Du mußt mir mal erklären a) wieso wir Kommentare löschen sollten, (außer Spam, Obszönitäten, usw.) - wir sind es gewohnt, dass wir kritisiert werden, das bringt es eben mit sich, wenn man eine Seite mit etwas Reichweite hat und b) wieso wir die Leser-Charts manipulieren sollten?

Dieter · 26.02.2011

Ach komm, Mike. Und 3 Minuten später schmeisst ihr den filn aus den Lesecharts raus!? Veralbern kann ich mich selber. Grüsse zurück Dieter

@Dieter · 26.02.2011

Hier wurde nichts gelöscht. Grüsse, Mike

Dieter · 26.02.2011

wieso wurde mein kommentar gelöscht! Ich habe mich nur meinem vorrednerin angeschlossen: GUTER FILM - ABSURDE KRITIK. muss doch erlaubt sein!

Dieter · 26.02.2011

dem kann ich mich nur anschließeen. guter Wichtiger Film, Absurde Kritik.

Luise Holl · 24.02.2011

Romantisierender Blick des Filmemachers??? Ich weiß nicht welchen Film Sie gesehen habe, aber sicherlich nicht den von Herrn v. Praunheim! Endlich mal eine Doku über Strichjungen, die eben NICHT romantisiert und NICHT in Klischees verfällt, sondern sachlich und authentisch erzählt wird. Ihre Luise (Dipl. Sozialpädagogin aus Berlin)

Raimund H. · 24.02.2011

Ich war beeindruckt von dem Film! Top! R.