Die Geschwister Savage

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Vertreibung aus dem Senioren-Paradies

Am Ende ihres Lebens werden die Menschen Objekt einer erbarmungslosen Wellness-Industrie. Die lässt Demenzkranke Qigong im Rollstuhl machen und verspricht ihnen sexy Fingernägel, alles im Zeichen ewiger Jugend. Doch nicht nur davon handelt der Film von Tamara Jenkins. Sie erzählt, wie es wirklich ist.
Der Regisseurin gelingt ein Kunststück. Sie schildert ein trauriges Thema in komödiantischer Tonlage, ohne den Ernst der Lage zu verleugnen. Sie erlaubt sich, nicht immer alles schwer zu nehmen, obwohl es kaum etwas Schwereres gibt als den schrittweisen Abstieg in die Demenz. Sie stellt die Fakten realistisch dar, ohne den lebensbejahenden Schwung ihrer Inszenierung zu verlieren.

Die Geschwister Savage / The Savages handelt von Wendy und Jon, die ihren Vater jahrelang kaum gesehen haben. Denn mit der Familie steht es nicht zum Besten. Der Vater hat die Geschwister in ihrer Kindheit geschlagen und sich wenig um sie gekümmert. Aber jetzt baut Vater Lenny geistig ab und wird immer aggressiver. Im Seniorenparadies Sun City in Arizona kann er nicht bleiben. Die Kinder bekommen einen Anruf, dass sie sich um ihn kümmern und ein Pflegeheim finden müssen. Das Wiedersehen ist gepflastert von Enttäuschungen und Wut, aber auch von Mitleid und zögerlicher Fürsorge.

Das Familiendrama lebt von den Schauspielerleistungen, die aus den Reibungen der drei Figuren ebenso anrührende wie komödiantische Funken schlagen. Laura Linney ist eine hoch emotionale Wendy mit einem gerade noch beherrschbaren Hang zur Hysterie, immer auf der Suche nach dem nächsten Antidepressivum. Philip Seymour Hoffmann dagegen gibt als stoisch-abgestumpfter Literaturdozent den ruhenden Pol, hinter dessen gleichmütiger Miene unterdrückte Gefühle schlummern. Gemeinsam sind sie das perfekte Paar in einer schwierigen Lage. Wo der eine zu dumpfbackig in die Gegend schaut, blitzt der anderen die Kampfeslust aus den Augen. Wo die eine übermotiviert ins Schlingern gerät, brummt der andere etwas Realistisch-Besänftigendes in seinen Bart. In solch chaotischer Obhut kann Vater Lenny (Philip Bosco) hilflos seinen fortschreitenden Verfall bestaunen oder seinem heiligen Zorn Luft machen.

Regisseurin Tamara Jenkins hat für ihren zweiten langen Spielfilm nach dem 1998er Debüt mit Hauptsache Beverly Hills / Slums of Beverly Hills auf eigene Erlebnisse zurückgriffen. Sie hatte die Demenz ihres Vaters bereits für eine öffentliche Lesung vor Literaturbegeisterten verarbeitet und fügte für das Drehbuch weitere Mosaiksteine hinzu, die sie teils am eigenen Leib erfahren, teils in ihrem Umfeld beobachtet hatte.

Daraus entstand eine realistische Schilderung, die weder die Augen verschließt vor den Zuständen im Pflegeheim noch vor den Begleitumständen einer Demenz. So werden Wendy und Jon von der Heimverwaltung gebeten, doch gleich bei der Einweisung mit anzugeben, ob der Vater künstlich am Leben gehalten werden soll, wenn er ins Koma fällt, und ob er verbrannt oder beerdigt werden möchte. Die Szene, in der die Geschwister diese Fragen an ihren Vater weiterreichen, gehört zu den köstlichsten in diesem Film – gerade weil sie so makaber ist und gerade weil sie sich in einem befreienden Humor entlädt.

Jenseits der Krankheits-Tristesse ist Die Geschwister Savage / The Savages auch ein Film über das Verhältnis von Bruder und Schwester: über die allseits schlummernde Konkurrenz, über die fest eingebrannten Vorurteile, über das ewig gleiche Generve. Aber auch darüber, wie man da rauskommt. Bei Wendy und Jon geschieht dies nicht in großartig in Szene gesetzten Läuterungen, sondern einfach durch die gemeinsam verbrachte Zeit. Irgendwann fangen sie an, den anderen mit einer Art achtsamer Fürsorge zu betrachten. Da wissen sie: Das Leben ist kein Wellness-Paradies. Aber auch kein Jammertal.

Die Geschwister Savage

Am Ende ihres Lebens werden die Menschen Objekt einer erbarmungslosen Wellness-Industrie. Die lässt Demenzkranke Qigong im Rollstuhl machen und verspricht ihnen sexy Fingernägel, alles im Zeichen ewiger Jugend.
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