Die Entführung des Michel Houellebecq

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine literarische Mockumentary

Am 14. September 2011 erschütterte eine Nachricht die französische Literaturlandschaft, die wie eine Bombe wirkte: Der große Romancier Michel Houellebecq war spurlos verschwunden und es gab Gerüchte, dass eine Entführung dahinter stecken könnte, vielleicht, so kursierten Gerüchte, könnte sogar al-Qaida hinter der ganzen Angelegenheit stecken. Schließlich hatte sich der Autor den Zorn fundamentalistischer Kreise zugezogen, als er sich in einem Interview abfällig über den Islam geäußert hatte. Herausgekommen war das Verschwinden, weil sich der Schriftsteller zu diesem Zeitpunkt eigentlich auf Lesereise mit seinem neuen, soeben erschienenen Roman Karte und Gebiet befinden sollte, bei den Lesungen aber einfach nicht auftauchte und für niemanden zu erreichen war.
Dann, wenige Tage später, tauchte Houellebecq so plötzlich wieder auf, wie er zuvor verschwunden war. Er habe sich, so hieß es, völlig allein in Südspanien aufgehalten und die Termine seiner Promo-Reise schlichtweg vergessen. Der Autor selbst verlor über sein rätselhaftes Verschwinden niemals ein einziges Wort, das die mysteriöse Angelegenheit erhellt hätte – bis heute.

Umso greller ist die Geschichte, die Guillaume Nicloux in seinem neuen Film L’enlèvement de Michel Houellebecq in die Welt setzt — und zwar ausdrücklich mit dem damals Verschwundenen selbst. Denn Michel Houellebecq „spielt“ in diesem Zwischending aus Mockumentary und Farce sich selbst und versteht das Kunststück, mit der Dekonstruktion seiner eigenen Person den Rummel um ihn gleichzeitig bloßzustellen, zu ironisieren und weiter am Leben zu erhalten.

Seine Version der Geschichte um sein Verschwinden ist auf bizarre Weise ebenso hanebüchen wie plausibel: Drei absolute Vollpfosten ohne Plan und Verstand kidnappen den Starautor und verschleppen ihn in das Elternhaus von einem der drei Entführer. Weil sich aber die Kleinkriminellen keine Gedanken gemacht haben, wer eigentlich das Lösegeld zahlen soll, zieht sich die Gefangenschaft am Arsch der Welt ein klein wenig in die Länge. Und obwohl Houellebecq als erfahrener Krimileser weiß, dass Ganoven, die sich nicht maskieren, normalerweise nichts Gutes bedeuten, entpuppen sich die Gangster als nette Kerle, die nun wahrlich von Tuten und Blasen und erst recht vom Geschäft des professionellen Kidnapping nicht den blassesten Schimmer haben. Als dann noch die Eltern des einen Gangsters und Hausbesitzer des Verstecks auftauchen, gerät die Entführung vollends aus den Fugen. Denn Houellebecq ist natürlich nicht irgendwer und seine Ansprüche an die überforderten Entführer steigen ins Unermessliche. Wie gut, dass wenigstens die Herrin des Hauses ein Ohr für die Sorgen und Nöte eines Schriftstellers in der Identitätskrise hat.

Es ist eigentlich kaum zu glauben, dass L’enlèvement de Michel Houellebecq von Guillaume Nicloux stammt, der letztes Jahr im Wettbewerb der Berlinale mit der Diderot-Verfilmung Die Nonne zu sehen war. Andererseits markiert der gewaltige Unterschied in der Thematik und der formalen Herangehensweise eine große Bandbreite, eine Vielfalt an Ausdrucksformen und Interessen, die heutzutage selten geworden ist im Werk eines einzelnen Regisseurs. Und Nicloux ist gewitzt genug, einen kleinen Hinweis auf seinen Vorgängerfilm mit einzubauen in seine tolldreiste Farce — als Houellebecq gelangweilt nach Lesestoff verlangt, bringt ihm einer der Entführer ausgerechnet La religieuse zu lesen. Der Literat ist davon wenig angetan, doch die Not der erzwungenen Muse sorgt schließlich dennoch dafür, dass er den Roman liest.

Wenn man so will, stellt dieser Film eine Verlängerung des literarischen Programms Houellebecqs der Selbstdekonstruktion, wie es der Autor zuletzt in Karte und Gebiet vorgeführt hat, in die „Realität“ eines sich als Mockumentary tarnenden Konstrukt dar. Der durchgeknallte, teilweise bewusst improvisiert wirkende Film sieht so aus, als habe ein unsichtbarer Spießgeselle der Kleinganoven einfach mal mit der Kamera den Coup mitgefilmt. Das Ergebnis ist ein funkelndes Kleinod voller Galle, Charme und hintersinnigem Witz, das den Mythos des sichtlich gealterten Genies Houellebecqs gleichermaßen zerstört wie überhöht — eine Ambivalenz, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann. Ohne jeden Zweifel einer meiner Lieblinge bei der diesjährigen Berlinale.

Die Entführung des Michel Houellebecq

Am 14. September 2011 erschütterte eine Nachricht die französische Literaturlandschaft, die wie eine Bombe wirkte: Der große Romancier Michel Houellebecq war spurlos verschwunden und es gab Gerüchte, dass eine Entführung dahinter stecken könnte, vielleicht, so kursierten Gerüchte, könnte sogar al-Qaida hinter der ganzen Angelegenheit stecken.
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