Dibbuk - Eine Hochzeit in Polen

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Aus dem Lehmboden

Das eigentlich Unheimliche kommt ja nicht nur aus dem Unerwarteten, Fremden, das sich auf einmal im eigenen Leben breitmacht. Es kommt aus dem plötzlichen Bruch mit dem Vertrauten, aus Verschiebungen, die sich nicht erklären, Bewegungen, die sich nicht ändern lassen. Und natürlich bricht es am leichtesten ein, wenn Neues nur scheinbar vertraut ist, wenn unter der Oberfläche etwas lauert, das nicht greifbar und womöglich bösen Willens ist.
So spielen unzählige Schauergeschichten des Kinos in frisch bezogenen alten Häusern, an nur scheinbar friedlichen Orten, an denen die Neuankömmlinge mit tieferen Wahrheiten konfrontiert werden. Jetzt also Piotr (Itay Tiran). Er lebt in London, seine Familie stammt aber aus Polen, und so ist die Liebe zu Żaneta (Agnieszka Zulewska) wohl leichtgefallen. Ihr Bruder Jasny (Tomasz Schuchardt) hat sie vermutlich einander vorgestellt und ist jetzt vor Stolz platzender Trauzeuge, der Vater (Andrzej Grabowski) ist ein wenig skeptisch, empfängt den Schwiegersohn in spe aber mit offenen Armen: Dem Brautpaar wird ein kleines Anwesen geschenkt, etwas heruntergekommen, dort soll auch die Hochzeit stattfinden. Der Wodka fließt, kaum dass die Ringe getauscht sind.

Aber Piotr hat in der Nacht zuvor schon mit dem Bagger ein wenig gearbeitet, einen Baum entwurzelt und dabei eine Entdeckung gemacht: menschliche Knochen, offenbar vor einiger Zeit in Hast vergraben. Und nun, während die Feier – ganz ohne Familie oder Freunde von ihm – immer weitergeht, sieht er seltsame Dinge, eine Frau im Brautkleid, die nicht Żaneta ist, läuft irrend durch die Nacht.

Regisseur Marcin Wrona, der sich leider am Tag nach der Weltpremiere dieses Films selbst das Leben nahm, verwebt hier vermeintliche Visionen und vermeintliche Realität zu einem dichten visuellen Teppich. Fast wahllos wirkt zunächst seine Kombination kurzer Szenen – Piotr immer im Fokus – aus der Scheune, in der gefeiert wird, vor dem Haus, wo Piotr zwischendurch noch einmal in der Erde wühlt, aus dem Bauernhaus, in dem Żaneta und ihr Bräutigam Sex haben. Draußen ist es dunkel, zwischendurch regnet es in Strömen.

Aber diese zunächst unverbunden scheinenden Momente sammeln sich zu einem dichten Stimmungsbild, das die zunehmend ausgelassene Stimmung der Feiernden mit Piotrs wachsender Verzweiflung in eine wunderbar ambivalente Verbindung bringt. Bis schließlich der titelgebende Dibbuk von Piotr Besitz ergreift, nach der jüdischen Mythologie der Geist einer verstorbenen Person. Und dann Dibbuk – Eine Hochzeit in Polen gezielt ausfranst zu etwas anderem, einer Erinnerungsfahrt durch ein altes, verlorenes, jüdisches Polen.

Alle wichtigen Figuren wirbeln vorbei und spielen ihren Teil: Der Dorfarzt, der Priester, Vater, Mutter, Braut. Wrona lässt die Kamera durch das Fest wanken, an Alkohol und Leibern vorbei, grabschend, übergriffig, rau, dionysisch, fast ins Groteske changierend.

Am nächsten Morgen beschwört der Brautvater die Ereignisse als gemeinschaftliche Halluzination, als wirre Phantasie. Und die Bilder, die es vorab zu sehen gab, sie sind wie Erinnerungen an alte Gemälde, Standbilder aus dem kulturellen Gedächtnis, kleine visuelle Schatullen von Vergangenheit. Irreal, das merkt man in den letzten Momenten, war das eigentlich alles, irreal sind solche überbordenden Feste und das Maß an Vergangenheit, das sie verdecken oder genauer: nur mühsam übertünchen.

Die Vergangenheit lässt sich nicht einfach abschneiden oder begraben, sie holt uns wieder ein, sie greift sich schon, was sie braucht. Marcin Wronas exzellenter kleiner Horrorfilm ist eine nur vermeintlich unscheinbare Geschichte über die Verdrängung und über die Rache aus dem feuchten, schweren Lehmboden der Heimat.

Dibbuk - Eine Hochzeit in Polen

Das eigentlich Unheimliche kommt ja nicht nur aus dem Unerwarteten, Fremden, das sich auf einmal im eigenen Leben breitmacht. Es kommt aus dem plötzlichen Bruch mit dem Vertrauten, aus Verschiebungen, die sich nicht erklären, Bewegungen, die sich nicht ändern lassen. Und natürlich bricht es am leichtesten ein, wenn Neues nur scheinbar vertraut ist, wenn unter der Oberfläche etwas lauert, das nicht greifbar und womöglich bösen Willens ist.
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