Dessau Dancers (2014)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Wie der Breakdance die DDR eroberte

Alle Charaktere seien frei erfunden, stellt der Vorspann fest. Dafür gab es tatsächlich den Film Beat Street, der 1985 in der DDR zugelassen wurde. Und der nicht nur in Dessau zu einer Breakdance-Bewegung führte, die der Film auch tatsächlich sehr schön ins Bild setzt: Wie die jungen Leute im Kino von den Bewegungen der Leinwand erfasst werden, wie sich der Beat überträgt in Zuckungen, in Wellen, in Verdrehungen der Körper in den Kinosesseln. Ja: Ein bisschen ist Dessau Dancers auch ein Musical, ein Tanzfilm, so nebenbei halt. Vielleicht hätte er sich darauf konzentrieren sollen, auch wenn er damit lockere 30 Jahre zu spät gekommen wäre: Immerhin haben die Darsteller die richtigen Bewegungen super drauf.

Nun haben wir hier aber die Verfilmung eines Drehbuchs von Ruth Toma, notorisch „ruth“inierte Vielschreiberin, die alle Lektionen diverser Drehbuchlehrgänge so verinnerlicht hat, dass sie viel zu genau weiß, wann welcher Konflikt kommen und wie welche Emotion sich ausdrücken muss — so genau, dass sie die Überkonstruiertheit ebenso wenig bemerkt wie die Tatsache, dass alles gar nicht mehr zusammenpasst, wenn man alle Tricks anwendet.

Wir haben im Grunde die Geschichte einer kleinen Rebellion in Dessau: Tanzen auf der Straße mit einem individuellen körperlichen Ausdruck, ist das nicht gefährlich in einer DDR, in der alle gleich sein sollen? Und es ist die Geschichte einer Vereinnahmung durch die Macht, denn die Parteifunktionäre stellen es geschickt an, den kapitalistischen Breakdance, der mit der Mode kapitalistischer Marken einhergeht, zu verstaatlichen: Akrobatischer Schautanz, eingeordnet in Kategorie B, so befindet eine Einstufungskommission, die vor allem die Kids von der Straße haben will. Wodurch staatlich gefördert und mit Künstlerausweis ausgestattet Frank, Alex, Matti und Michel in einer Halle trainieren und landesweit in FDJ-Heimen auftreten dürfen. Was die vier erst so allmählich merken: Dass sie sich haben verführen lassen von der Macht, dass sie Teil des Systems geworden sind.

Diese Geschichte wird aber eben eher läppisch erzählt. So finden sich manche handwerkliche Ungereimtheiten: Frank und Matti unterhalten sich lautstark im Kino während des Breakdance-Films, und keiner der Umsitzenden beschwert sich. Oder: Frank wird von seinem Vater rausgeschmissen, weil der die ganze Breakdance-Showtanz-Chose nicht abkann, und übernachtet in der Trainingshalle. Was bei seinen Kumpels freilich nur zu einer kurzen Nachfrage führt, bevor über was ganz anderes geredet wird — als würde sich keiner der Protagonisten für die anderen interessieren.

Dazu kommt die Überladung mit Gags über die DDR. Die Parteifunktionäre sind die typischen grauhaarigen, dicken, steifen, alten Herren, die man sich nach dem Klischee so vorstellt — und sie sind auch nach Klischee besetzt, allen voran Wolfgang Stumph als Vorsitzender. „Breakdance“ kann keiner aussprechen, und statt „crew“ sagt man „kreff“. Die DDR-produzierte Beat-Musik, die die westlichen Rhythmen ersetzen soll, ist lächerlicher Humptahumpta-Blasorchestersound. Und eine putzige Ostalgie-Ausstattung wurde auch versucht — auch wenn sichtlich an so ziemlich nur einem einzigen Schauplatz gedreht wurde, offenbar auf einem alten Fabrikgelände, das „so richtig“ nach DDR aussieht und für allerlei Außensettings herhalten muss.

Und dann kommt eben Ruth Toma mit ihrem Drang nach Konflikten ins Spiel. Und baut einen Nicht-Anbagger-Pakt zwischen den Freunden Frank und Alex ein, die beide für die schöne, blonde Matti schwärmen. Und als dann das Liebespaar des Films zusammenkommt, hei, wie sauer ist der unter die Räder Gekommene! Diese persönliche Nebenhandlung überdeckt das moralische Drama um Vereinnahmung der Rebellion, und führt zu einem merkwürdigen Skandal-Finale bei der Fernsehshow Ein Kessel Buntes (für deren Dreh der altgediente Wolfgang Lippert nochmal aus der Versenkung geholt wurde).

Und es führt zu einem letzten Widerspruch innerhalb des Films: Weil trotz der landesweiten, fernsehausgestrahlten Empörung wider das System mit massenhaft Zuschauern am Ende keck behauptet wird, alle Akten und Beweise über diese Story seien im Zuge der Wende vernichtet worden, und es gebe keine Dokumente und keine Zeugen mehr… Man muss schon überlegen, wann und wie man mit Fiktion und Wirklichkeit kokettiert. Hier ist es ein letzter, symptomatischer Fehler.
 

Dessau Dancers (2014)

Alle Charaktere seien frei erfunden, stellt der Vorspann fest. Dafür gab es tatsächlich den Film Beat Street, der 1985 in der DDR zugelassen wurde. Und der nicht nur in Dessau zu einer Breakdance-Bewegung führte, die der Film auch tatsächlich sehr schön ins Bild setzt: Wie die jungen Leute im Kino von den Bewegungen der Leinwand erfasst werden, wie sich der Beat überträgt in Zuckungen, in Wellen, in Verdrehungen der Körper in den Kinosesseln.

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