Der Junge mit dem Fahrrad

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Auf der Jagd nach Zuneigung

Cyril (Thomas Doret) ist gerade mal zwölf Jahre alt und hat schon niemanden mehr auf der Welt, der ihm nahesteht. Die Mutter ist einfach nicht mehr da, der Vater (Jérémie Rennier) hat ihn in der Obhut eines Kinderheims zurückgelassen und ist weggezogen, ohne eine Adresse oder eine Telefonnummer zu hinterlassen und Geschwister hat er keine. Und dennoch kämpft der Junge mit allen Mitteln um die Zuneigung seines abwesenden Vaters, läuft immer wieder weg aus dem Heim, immer auf der Suche nach Kontakt zu dem Mann, dessen Zurückweisung er nicht wahrhaben will.
Dann gelingt es ihm durch einen Zufall immerhin sein geliebtes Fahrrad wieder in seinen Besitz zu bringen, dass ihm die Friseurin Samantha (Cécile de France) aus heiterem Himmel vorbeibringt. Dieses Fahrrad ist sein Anker in die frühere Welt, in der für den Jungen noch alles in Ordnung war. Und er gewinnt in Samantha eine Verbündete, eine Person, die echtes Interesse an ihm und seinem Wohlergehen hat, die sich um ihn sorgt und die ihm helfen will. Bei ihr kann er seine Wochenenden verbringen, sie macht sich mit ihm auf die Suche nach dem Vater, bis sie ihn schließlich gefunden haben. Und sie tröstet ihn, als der ihn erneut verstößt.

Dann aber wird diese neue Freundschaft auf eine Bewährunsgprobe gestellt, denn der labile und leicht zu beeinflussende Cyril gerät an einen falschen Freund, der ihn zu einem Raubüberfall anstiftet. So groß ist der Wunsch des Jungen nach Nähe, dass er auf die Beute verzichtet, nur um dem vermeintlichen Freund zu gefallen. Doch dann verstößt ihn auch der und Cyril wird als Täter ausfindig gemacht…

Le gamin au vélo ist ein typischer Film der Brüder Dardenne. In ihm findet man all das vor, was ihre Werke seit jeher auszeichnet — den unverwechselbaren, sehr reduzierten und realistischen Stil, ihr Interesse an sozialen Fragen und Beziehungen, das für sie typische Milieu der Menschen am Rande der Gesellschaft, ihre Sympathie für die Schwachen und ihre große Anteilnahem und Solidarität mit diesen „Verlierern“ und „Außenseitern“.

Manch einer mag das für langweilig halten, man könnte es aber auch einfach konsequent nennen, dass die beiden Brüder ihren einmal eingeschlagenen Weg weiterhin so verfolgen. Und immerhin gibt es ja doch etwas Neues bei Le gamin auf vélo zu bestaunen: Mit der in Frankreich überaus populären und erfolgreichen Cécile de France arbeiten die Dardennes erstmals mit einem echten Star zusammen — eine Experiment, das man als überaus geglückt bezeichnen muss. Obwohl man sich schon fragt, warum Samantha plötzlich ihr Herz für den ihr völlig fremden Jungen entdeckt. Diese Wendung des Films muss man sich schon selbst zusammenreimen. In der harten, grauen und tristen Welt der Dardennes ist eben immer noch Platz für ein kleines Wunder, das die Erdenschwere und Düsternis zumindest halbwegs erträglich werden lässt.

Für das wallonische Bruderpaar ist die Zusammenarbeit mit einem echten Kinostar jedenfalls schon beinahe eine Revolution. Mal sehen, mit welchen Modifikationen sie uns in ihrem nächsten Film überraschen.

Der Junge mit dem Fahrrad

Cyril (Thomas Doret) ist gerade mal zwölf Jahre alt und hat schon niemanden mehr auf der Welt, der ihm nahesteht. Die Mutter ist einfach nicht mehr da, der Vater (Jérémie Rennier) hat ihn in der Obhut eines Kinderheims zurückgelassen und ist weggezogen, ohne eine Adresse oder eine Telefonnummer zu hinterlassen und Geschwister hat er keine.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

kim · 28.02.2012

Kann man anschauen - oder lassen.
@ martin V: Wieso du dich als Mann angeriffen fühlst, ist die Frage...
1. Männer sind meistens weniger nett als Frauen, nennt man stofflig und gilt beim Mann als okay. Empfinde die Darstellung der Männer nicht als unrealistisch, wenn auch nicht als schmeichelhaft.
2. Die weibliche Heldin wird mehr oder wenig als "heilig" dargestellt.
Gibt für ein hoch problematischen Jungen sowohl den Freund als auch eine Menge Geld aus.
Warum wird nicht klar.
Bisschen schmierig, die pathetische Musik zum Ende hin...

Trotzdem - es gibt nicht viele Filme über lieblose Eltern, die von ihrem Kind beständig, ohne Anlass und verzweifelt geliebt werden!

andre · 18.02.2012

Vielen Dank für diesen Film

martin.V. · 06.02.2012

Ein väterfeindliches Märchen. Alle Männer sind schlecht: Väter, Freunde, hilflose Erzieher, Hausmeister, Nachbarn ... nur die Frauen in Gestalt motivationsvager Ersatzmütter haben feenhafte Eigenschaften. Alles in allem ein anrührendes Märchen, das die Position erziehungsbereiter Väter schwächt.
Schade.