Der grosse Kanton

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Deutschland als Schweizer Großkanton?

Der grosse Kanton von Viktor Giacobbo ist ein Mix aus Satire und Dokumentarfilm. Dies ist keineswegs eine neuartige Mischform – denn auch zahlreiche Werke von Michael Moore sowie die Mockumentarys Borat und Brüno von Sacha Baron Cohen setzten z.B. schon auf ein solches Rezept. In einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich die Vorgehensweise Giacobbos aber sowohl von der Cohen’schen als auch von der Moore’schen Manier. Dem Schweizer Autor, (Co-)Produzenten, Regisseur und Interviewer ist nicht daran gelegen, sein jeweiliges Gegenüber bloßzustellen, um so den Witz in der Schadenfreude zu finden (wie bei Cohen), oder den Zuschauer zu schockieren, aufzurütteln und zu belehren (wie bei Moore), ihm geht es vielmehr darum, gemeinsam mit seinen Interview-Partnern eine absurde These zu erörtern. Und zwar äußerst umfassend. Alle Beteiligten sind sich dabei über die Absurdität der Diskussion im Klaren – und doch entsteht daraus kein reiner Nonsens, weil das Thema im Kern eine gewisse politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Relevanz besitzt.
Im Zentrum des Films steht das Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz – eine durchaus diffizile Beziehung, die etwa durch deutsche Steuerflüchtlinge oder den Schweizer Fluglärm in Süddeutschland erblich belastet wird. Giacobbo hat nun eine Idee, wie die beiden Nachbarländer ihre Probleme rasch lösen könnten: Deutschland soll der Schweiz ganz einfach als neuer Kanton beitreten. So könnten alle Entscheidungen auf nationaler Ebene getroffen und landesweit umgesetzt werden. In Interviews soll ermittelt werden, was Politiker, Unternehmer, Wissenschaftler und Prominente aus Deutschland und der Schweiz von dieser kühnen These halten.

Die Statements der Befragten lassen ein großes Vergnügen am Gedankenspiel, oft aber auch eine gehörige Portion Geschichtsbewusstsein erkennen. Joschka Fischer reißt die gemeinsame Vergangenheit der beiden Staaten an und rät Giacobbo, sich „keine Illusionen“ zu machen; Gregor Gysi gefällt wiederum die Vorstellung, auf diesem Wege „ein bisschen mehr Tempo“ in die Schweiz zu bringen. Ebenso sieht die auf Ironie eingestellte Elke Heidenreich „schöne Perspektiven“ – während Gerhard Polt bereits mit ganz konkreten Impulsen aufzuwarten weiß und die Brezel als Wappen-Motiv des neuen Kantons vorschlägt, um damit die Verschlungenheit der Historie aufzuzeigen. Ferner kommen u.a. Doris Leuthard und Natalie Rickli, der Ex-UBS-Chef Oswald Grübel und der Ex-SAT1-Chef Roger Schawinski sowie der Swiss-CEO Harry Hohmeister zu Wort; zwischendurch spielt Oskar Freysinger Gitarre und singt das metaphernfrohe Lied Der Elefant im Fliegenland. Das ist von beträchtlichem Unterhaltungswert.

Recht gut funktioniert überdies die Integration von Schaubildern und Archivmaterial; auch die Musik (die von Heino über David Hasselhoff bis hin zu den Jacob Sisters mit ihrer Heidi-Interpretation reicht) wirkt stimmig. Weniger überzeugend sind dagegen die eingestreuten Sketche, die nicht mit Albernheit geizen und vermutlich nur die Giacobbo-Fans erfreuen werden. Giacobbo, der in der Schweiz seit Jahren als Macher und Mitwirkender von/bei Satire-Sendungen in Erscheinung tritt, schlüpft etwa in die (bekannte) Rolle des schnell sprechenden „Experten“ Dr. Klöti und ist u.a. als Donatella Versace zu sehen. In einer Spielszene auf dem Bodensee tauchen indes zwei Darsteller des „Chaostheater Oropax“ als deutsche „Swin People“ auf, die ans Schweizer Ufer wollen, um dort ihr Vermögen vor der Steuerbehörde zu verstecken. „Wir haben die Nase voll von Merkels Diktatur!“, rufen sie dramatisch aus – wobei der Moment gleich wieder gebrochen und auf eine Meta-Ebene gehoben wird, indem das (missglückte) Spielen der Szene thematisiert wird.

Die Begegnungen mit „echten“ Menschen sind hier fraglos reizvoller; neben den Interviews amüsiert insbesondere das Gespräch mit dem offiziellen Nachtwächter von Rottweil: Der freundliche Mann lädt Giacobbo und sein Team kurzerhand in seine Wohnung ein, um ein wenig plaudern zu können. Alles in allem ist Der grosse Kanton ein interessantes Dokumentarwerk über nationales Selbstverständnis und zwischenstaatliche Konflikte – vor allem jedoch über herrlich aberwitzige Kopfgeburten.

Der grosse Kanton

„Der grosse Kanton“ von Viktor Giacobbo ist ein Mix aus Satire und Dokumentarfilm. Dies ist keineswegs eine neuartige Mischform – denn auch zahlreiche Werke von Michael Moore sowie die Mockumentarys „Borat“ und „Brüno“ von Sacha Baron Cohen setzten z.B. schon auf ein solches Rezept. In einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich die Vorgehensweise Giacobbos aber sowohl von der Cohen’schen als auch von der Moore’schen Manier.
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