Der atmende Gott - Reise zum Ursprung des modernen Yoga

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Yoga für alle

Rund drei Millionen Menschen in Deutschland betreiben Yoga. Fast jede Volkshochschule bietet entsprechende Kurse an, viele Krankenkassen geben einen Zuschuss. Aber was verbirgt sich eigentlich hinter den Übungen? Religion, Gymnastik oder Wellnesswahn? Regisseur Jan Schmidt-Garre ist diesen Fragen nachgegangen – in einer persönlich gefärbten, sehr informativen Dokumentation, für die der Zuschauer allerdings dieselbe Geduld mitbringen muss, die man auch für eine Yoga-Übung braucht.
Eigentlich scheint es unmöglich, das Thema in einem einzigen Film abzuhandeln. Zu unterschiedlich sind die teils konkurrierenden Strömungen der Jahrtausende alten indischen Traditionen. Zu komplex sind die zu beachtenden Aspekte, in weltanschaulicher, körperlicher, seelischer, lebensphilosophischer, moralischer und politischer Hinsicht. Jan Schmidt-Garre, der bisher vor allem Filme über Musiker und Komponisten gedreht hat, entzieht sich der Materialfülle, indem er einen subjektiven Ansatz wählt: Er folgt ganz einfach seinen persönlichen Erfahrungen und den sich daraus ergebenden Fragen. Ganz so, wie es der Untertitel von Der atmende Gott ankündigt, als „Reise zum Ursprung des modernen Yoga“. Hier erzählt einer von sich. Von der Faszination, die die ersten Erfahrungen mit Yoga auslösten. Und von dem Bedürfnis, vor Ort in Indien mehr darüber zu erfahren.

Schon in den ersten Einstellungen erscheint der Regisseur selbst im Bild, stellt seine Fragen und erzählt auch, wie er zum Yoga gekommen ist. Nämlich eher durch Zufall, weil er seine Frau bei einem Kurs begleiten wollte. Wider Erwarten widerfuhr ihm schon in den ersten Stunden etwas, das er noch nie erlebt hatte: ein einzigartiges Einssein von Körper und Geist. Die aus Neugier begonnene Recherche führte Jan Schmidt-Garre – zunächst noch ohne Gedanken an einen Film – zum indischen Yogalehrer Sri Tirumalai Krishnamacharya (1888-1989). Da wichtige Schüler von Krishnamacharya noch lebten, war die Idee zu dem Film geboren. Denn Schmidt-Garre sieht in Krishnamacharya den Begründer des modernen Yogas, auf den sich fast alle heutigen Richtungen zurückführen lassen.

Dabei stieß der Regisseur auch auf Archivmaterial des Meisters: faszinierende Bilder von eleganten, überaus geschmeidigen und fast artistischen Bewegungsfolgen, die das Vorurteil von den „Schlangenmenschen“ und dem Zirkushaften ihrer Übungen zu bestätigen scheinen. Aber Der atmende Gott zeigt auch, dass Yoga etwas für ganz normale Durchschnittseuropäer ist. Denn der Regisseur ist sich nicht zu schade, vor der Kamera den Instruktionen der Krishnamacharya-Schüler Pattabhi Jois (der während der fünfjährigen Dreharbeiten starb) oder B.K.S. Iyengar zu folgen. Und dabei vorzuführen, wie er am Lotossitz scheitert.

Eleganter, aber ebenfalls mit einer gewissen Erheiterung zu betrachten sind die Übungen, die Krishnamacharyas jüngster Sohn T.K. Sribhashyam beim Unterricht mit einem Kind vollführt. Wie schwerelos schwebt der Junge auf den Füßen des Lehrers, behutsam gehalten und sicher geleitet in zärtlicher Leichtigkeit.

Die Reise nach Indien führt uns zu unterschiedlichen Yoga-Stilen, die mal mehr auf schnelleren Bewegungen, mal mehr auf dem „Halten“ ungewöhnlicher Stellungen basieren. Der Film erzählt von den Widerständen, auf die Krishnamacharyas Lehre von einem „Yoga für alle“, also auch für Frauen und Westler stieß. Aber er zeichnet auch die Förderung durch den Maharadscha nach, der wesentlich zum Wiederaufleben der alten Tradition beitrug und eine Schule gründete, an der sein Freund Krishnamacharya wirken konnte. Bei alledem verfolgt Schmidt-Garre konsequent sein leitendes Erkenntnisinteresse: Was unterscheidet Yoga von bloßer Gymnastik? Will man eine begriffliche Antwort geben, greift man zu Formulierungen wie „Zur-Ruhe-Kommen des Geistes“ oder „Harmonie von Atem und Bewegung“. Aber eigentlich gibt der Film als ganzer eine viel überzeugendere, weil sinnliche Antwort.

Der atmende Gott - Reise zum Ursprung des modernen Yoga

Rund drei Millionen Menschen in Deutschland betreiben Yoga. Fast jede Volkshochschule bietet entsprechende Kurse an, viele Krankenkassen geben einen Zuschuss. Aber was verbirgt sich eigentlich hinter den Übungen? Religion, Gymnastik oder Wellnesswahn?
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Meinungen

Liz Amandi · 15.04.2012

Ein sehenswerter Dokumentarfilm, der Einblick gibt, wie Yoga sich im 20. Jh. von Indien her zu uns entwickelt hat. Sehr schöne Bilder, immer spannend, eine Film, der nicht nur lehrreich ist sondern auch sinnlich wirkt, auch durch das Einflechten von historischen Filmsequenzen wirklich interessant.

Fan · 01.04.2012

Ein gelungener Film, der die Suche nach dem Ursprung des modernen Yogas dokumentiert, aber nicht klären kann. Schöne Aussagen und die ständige Bezugnahme auf den Gleichklang des Atems mit dem Geist.
Interessante Personen, beeindruckende Körperbeherrschung, zum Teil verwirrend und am Ende nachdenklich machend bzgl. der eigenen Yoga-Praxis und der Einstellung zum Leben.

René · 13.02.2012

Angekündigt als eine »Reise zum Ursprung des modernen Yoga« handelt der Film von T. Krishnamacharyas Yogaunterricht während der 1930er Jahre in Mysore.
Ist es möglich, die Frage nach dem Ursprung des Modernen Yoga zu klären, indem man wie hier geschehen mit einem Filmteam nach Indien reist und einige wichtige Vertreter des Yoga danach befragt? Die Antwort ist ein eindeutiges Nein. Was dem Film dagegen gelingt: Zum Beispiel in aufwändig nachgestellten Szenen jene Stimmung wiederzugeben,
in der Yoga damals vielleicht wirklich so einem breiten Publikum präsentiert wurde. Oder in anrührenden Szenen bei Gesprächen mit den Töchtern T. Krishnamcharyas, deren ansteckende Begeisterung und klares Verständnis für Yoga zu vermitteln. Oder einen bleibenden Eindruck von Pattabhi Jois’ sympathischem Wesen festzuhalten, der 2009 vierundneunzigjährig starb. An was es dem Film leider vor allem mangelt ist eine gute Recherche zu seinem Thema. Er zeigt keine Reise zum Ursprung des modernen Yoga sondern ein – sehr kurzweiliges und professionell gemachtes – Kaleidoskop über die frühen Jahre von T. Krishnamacharyas Wirken, über seine Mühen, dem Yoga wieder einen guten Namen zu verschaffen, über seine Schüler Pattabhi Jois, B. K. S. Iyengar,
T.K. Sribhashyam (ein Sohn T. Krishnamacharyas) und nicht zuletzt über den Regisseur Jan Schmidt-Garre selbst. Er nutzt die Gelegenheit, unter prominenter Anleitung erste Yogaschritte zu gehen. Wie der moderne Yoga entstand, erfahren wir allerdings
nicht. Tatsächlich gäbe es aber viel zu erzählen über die Geschichte der Âsana, über die Blüte des Ha†ha Yoga vor 500 Jahren. Darüber, wie dessen Tradition von Körperübungen fast völlig aus der indischen Kultur verschwand und schließlich nur noch als Fakirtum denunziert ein Schattendasein führte. Darüber, wie in den 1920er und 30er Jahren der Yoga in Indien als Teil einer neuen Wertschätzung (auch westlicher) Körperdisziplinen eine Renaissance erlebte. Oder darüber, in welchen Formen und individuell so unterschiedlichen Ausprägungen sich Krishnamacharyas Wirken in Mysore schließlich
über den ganzen Globus ausbreitete. Er hätte auch darüber erzählen können, wie kreativ Krishnamacharya in den langen sechzig Jahren seines Wirkens geblieben ist. Statt dessen lässt er fast vierzig Jahre seines Unterrichtens in Chennai zu einer Randnotiz schrumpfen. So wird der Umgang mit seinem zentralen Anliegen leider zum größten Mangel des Films: Es ist kein Film über Krishnamacharya und sein Lebenswerk. Ein Beispiel für Schmidt-Garres Unverständnis gegenüber den wesentlichen Inhalten von Krishnamacharyas Lehren, in denen ein wichtiger Grundsatz ganz im Mittelpunkt stand und ihm sehr am Herzen lag: Jede Yogapraxis muss den Möglichkeiten und Gegebenheiten eines Menschen angepasst sein, kurz »viniyoga«. Die Vorstellung, Krishnamacharya
hätte in seinen späten Jahren schließlich eine »Lebensverlängernde Âsanareihe“ für jedefrau entwickelt, wie es gegen Ende des Films nahegelegt wird, ist schlicht Unsinn. Aber wie so mancher andere (man denke nur an den Hype um die »Fünf Tibeter“) erliegt auch Schmidt- Garre hier eben seinem wohl zu dringenden Wunsch, in Indien ein bisher
unentdecktes Geheimnis enthüllen – und es uns hier im Westen auch noch allen bekannt machen zu dürfen. Trotz allem ist »Der atmende Gott“ ein sehenswerter Film, der die Diskussion um die Ursprünge des Modernen Yoga sicher belebt. Und er vermittelt allen, die noch nie in Indien waren, etwas von der dortigen Stimmung, die schwer zu beschreiben aber in einem handwerklich so gut gemachten Film immer wieder zu spüren ist. Eine kleine Fußnote zum Schluss: Wer ihn kannte, wird angesichts der auf dem Filmplakat vollzogenen Verbindung seiner Person mit dem Filmtitel glücklich sein, dass Krishnamacharya diese Werbung nicht mehr sehen muss. Nur wenige verstanden sich nämlich so radikal wie er als geringster Diener Gottes.

Axel Dill · 25.01.2012

Der Film scheint mich die ganze Zeit an zu lächeln. Der kleine Funke des
"göttlichen Atmens" zündelt an meinen Geist, wärmt und erhellt.
Bilder werden zu Räumen.
Ja, man sollte jeden Tag den Sonnenuntergang betrachten.