Deportation Class

„Aufenthaltsbeendende Maßnahmen“

Friedland (!) in Mecklenburg-Vorpommern: „Hier läuft alles nach Regeln und Disziplin ab. Das hat mich ja gerade angezogen.“ Gezim, ein 42 Jahre alter Familienvater aus Albanien, steht plötzlich nachts um drei im Schlafanzug im Hausflur. Als Asylbewerber war er vor einem Jahr nach Deutschland gekommen: Er, der zuvor selbst in seiner Heimat im öffentlichen Dienst gearbeitet hatte und dem die deutsche Genauigkeit seit jeher imponierte, steht innerhalb von einer Sekunde zur anderen vor dem Nichts …

Umzingelt von einer ganzen Armada an Polizei- und Ordnungsdienstkräften, so genannten „Zuführungskommandos“, wird ihm prompt und in eiskalter Behördensprache klipp und klar mitgeteilt, dass es nun soweit sei: Der staatlich veranlasste Zwangsabschied aus Deutschland steht unmittelbar bevor, in einer halben Stunde soll er gefälligst seine Sachen zusammengepackt haben. „Ansonsten werden wir das für Sie machen“, heißt es – ein weiteres Mal – höchst unmissverständlich aus dem Munde des Einsatzleiters.

Der Bus sei bereits abfahrbereit, der Air-Berlin-Flieger in Rostock-Laage Richtung Tirana ebenfalls: In weniger als vier Stunden wird er wieder in seiner ungeliebten Heimat sein (müssen). Gezim ist einer von rund 25.000 abgelehnten Asylbewerbern, die 2016 auf diese unmenschliche Art und Weise aus Deutschland in so genannte „sichere Herkunftsländer zurückgeführt“ wurden, wie das sowohl in Wahlkampfreden vielfach zu hören als auch in der staubtrockenen, geradezu zynisch anmutenden Behördensprache des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) reichlich nachzulesen ist.

Carsten Raus und Heike Wendlers stark aufwühlender Dokumentarfilm Deportation Class ist – neben dem real gezeigten Leid zweier betroffener Familien aus Albanien – in erster Linie ein Film über die Gewalt von Sprache, von Ämtern, von Positionen und über die so genannte „deutsche Gründlichkeit“ im Besonderen. Vielfach gruselt es den Zuschauer zutiefst – und irreversibel. Ein Beispiel? „Staatlich organisierte Sammelabschiebung“ wurde dieses bestehende Verfahren unter anderem vom deutschen Innenminister getauft. „Sammelchartermaßnahme“ lautet ein weiterer, mindestens genauso aufhorchend lassender Beschwichtigungsbegriff aus dem zuständigen Behördendeutsch. Was dabei immer wieder hervorsticht: Viel zu wenig wird hierbei über Menschen gesprochen, viel zu oft über nackte Zahlenkolonnen.

Speziell der Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns – Lorenz Caffier (CDU) – ist ein Meister darin, sich immer wieder allein „auf die Durchsetzung bestehenden, gültigen Rechts“ zu besinnen und dies gegenüber den beiden Filmemachern mantrahaft kundzutun: Durchaus mit einem Zufriedenheitslächeln, was dessen PR-Berater sicherlich ebenfalls mitten in der Nacht aufschrecken ließ. Aber auch vor Peter M., dem „Leiter Rückführungsmanagment“, graut es einem gewaltig: Nicht einmal einen Übersetzer haben diese vorzugsweise nachts agierenden Sondereinsatzkräfte mit dabei, wenn sie ihren jeweils nächsten Auftrag pflichtbewusst ausführen. An späterer Stelle am Rande des Flugfelds heißt es dann sogar, dass man „die Zahlen ordnungsgemäß angeliefert bekommen“ habe: Das macht einen selbst in der Tat erst einmal sprachlos, lässt einen unfreiwillig, quasi automatisch an die jüngere deutsche Geschichte zurückdenken – und im gleichen Moment erschaudern!

Sichtlich überzeugt, absolut zufrieden erklärt auch der zuständige Einsatzleiter in Stralsund: „Das ist unser Dienst, dafür sind wir eingeteilt, das nehmen wir emotionslos hin. Wir werden, können und dürfen hier keine Emotionen zeigen.“ Jene Sätze sind mindestens genauso gewalttätig wie die tatsächlich so noch nie zuvor gezeigten Einsatzbilder in Deportation Class. Was direkte Abschiebung konkret bedeutet, mit welch unwürdig-inhumanen Mitteln sie schlagartig durchgesetzt wird, lässt jeden Zuschauer – trotz manchem Vorwissen um aktuelle politische Zusammenhänge oder sogar spezifisch rechtliche Prozesse – nichts weniger als erschüttert zurück.

Gleichzeitig ist Hauke Wendlers und Carsten Raus selbstredend reportageartig gedrehter Dokumentarfilm, der den beiden abgeschobenen Familien sogar noch bis nach Albanien mit der Kamera folgt und jenen Menschen in diesem Zuge angenehm viel Würde schenkt, auch abseits seiner vielfach besonders eindringlichen O-Töne ein zutiefst nachdenklich stimmendes Plädoyer gegenüber dem Desinteresse und der häufig damit verbundenen Gleichgültigkeit vieler MitbürgerInnen, die schnell die Augen verdrehen, wenn sie das Wort „Asylbewerber“ hören.

Denn Deportation Class zeigt im Kern die eiskalte Abschiebevollstreckung: In all ihrer Akribie und Härte, schonungslos, nüchtern – und trotzdem filmemacherisch fair betrachtet aus vielerlei Blickwinkeln: So kommen darin zum Beispiel auch Lehrer und Anwälte offen zu Wort. Entstanden ist somit ein hochreflektierter, ungemein zeitgemäßer Debattenfilm: Einer, der schon jetzt zu den wichtigsten des aktuellen Dokumentarfilmjahrgangs zählt. Es ist geradezu eine (Bürger-)Pflicht, ihn sich anzusehen.

(Simon Hauck)

Deportation Class

Friedland (!) in Mecklenburg-Vorpommern: „Hier läuft alles nach Regeln und Disziplin ab. Das hat mich ja gerade angezogen.“ Gezim, ein 42 Jahre alter Familienvater aus Albanien, steht plötzlich nachts um drei im Schlafanzug im Hausflur. Als Asylbewerber war er vor einem Jahr nach Deutschland gekommen: Er, der zuvor selbst in seiner Heimat im öffentlichen Dienst gearbeitet hatte und dem die deutsche Genauigkeit seit jeher imponierte, steht innerhalb von einer Sekunde zur anderen vor dem Nichts …
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