Democracy - Im Rausch der Daten

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Gesetze wie Würstchen

Gesetze seien wie Würstchen: Wenn man nicht wisse, wie sie gemacht werden, schlafe man besser, sagte schon Otto von Bismarck. Tatsächlich ist jedoch der Blick auf die Entstehung der Datenschutz-Grundverordnung für die Europäische Union, die David Bernet in seinem Film Democracy – Im Rausch der Daten ermöglicht, sehr aufschlussreich.
Im Jahr 2012 begann auf Initiative der damaligen Vizepräsidentin der EU-Kommission, Viviane Reding, die für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft zuständig war, die Arbeit an einer Vereinheitlichung der verschiedenen europäischen Datenschutzrichtlinien. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Films Democracy – Im Rausch der Daten – und Schreibens dieser Kritik im Jahr 2015 – sind die politischen Beratungen noch nicht abgeschlossen. Oder verkürzt gesagt: Während die Beschränkung des Datenschutzes im Zuge der Vorratsdatenspeicherung innerhalb von sechs Monaten beschlossen wurde, ist ein Ende der Debatte um einen Schutz der Daten nicht abzusehen. Der Filmemacher David Bernet hat diesen langen Weg begleitet und mit seiner Kamera teilweise erstaunlich tiefe Einblicke erhalten – sie war bei Diskussionen in Think Tanks, Ausschusssitzungen und Telefonkonferenzen u.a. von der renommierten Wirtschaftskanzlei Linklaters LLP anwesend. Dadurch ist Democracy – Im Rausch der Daten zunächst auf prozeduraler Ebene ein aufschlussreicher Film: Er vermittelt nicht nur einen Eindruck von der Arbeit im Europäischen Parlament, sondern auch von den Schwierigkeiten, die mit den verschiedenen nationalen und wirtschaftlichen Interessen einhergehen – und erzählt damit vom Demokratieprozess in Europa.

Damit das Europäische Parlament einen Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission beraten kann, wird zunächst ein Berichterstatter gewählt, der durch den Prozess führt und die Federführung hat. Im Falle der Datenschutz-Grundverordnung wurde es der deutsche Grünen-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht, der in einem Ausschuss einen Änderungsvorschlag zum Kommissionstext ausarbeitete. Nachdem er ihn der Öffentlichkeit präsentierte, kam es zu über 3000 Änderungsanträgen – mehr hatte es in der Geschichte der EU noch nicht gegeben. David Bernet hat Albrecht in dieser Zeit begleitet, zugleich spricht er aber mit verschiedenen Vertretern unterschiedlicher Interessengruppen. So ist der irische Bürgerrechtsanwalt Joe McNamee überzeugt, dass dieses Gesetzgebungsverfahren für immer den Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene verändern wird: Lobbyismus hat eine ganz neue Rolle bekommen, noch nie war er so ausgeprägt wie bei diesem Gesetz. Hinzu kommt, dass erstmals sogenannte „unabhängige Think Tanks“ Einfluss nehmen wollen. Niemand weiß, wer sie finanziert, sie treten neben den Unternehmen und Wirtschaftsverbänden auf – und damit wird der gesamte Prozess intransparenter, da nicht zu erkennen ist, wer hinter dieser Art des Lobbyismus steckt.

Neben der Entstehung des Gesetzes thematisiert der Film auch die Funktion des Datenschutzes in einer digitalisierten Welt. In Deutschland setzt das System des Datenschutzes beispielsweise aufgrund des Volkszählungsurteils und des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung auf Zustimmung: Ein Wirtschaftsunternehmen darf Daten erheben, speichern, verarbeiten und weitergeben, wenn der Bürger dem zustimmt. Zugleich wissen wir, dass die größte Lüge des Internets das Häkchen ist, das bestätigt, dass man die AGBs und die Datenschutzerklärung gelesen habe. Damit stellt sich die Frage, ob diese Zustimmungserfordernis in einer digitalisierten Welt überhaupt noch zeitgemäß ist. Hinzu kommt, dass viele Anbieter aus den USA kommen und das dortige Recht zugrunde legen. Damit ist das rechtliche Datenschutzniveau höher als das tatsächliche Schutzniveau – und diese Diskrepanz wird in vielen Diskussionen kaum berücksichtigt.

Thematisch und inhaltlich ist Democracy – Im Rausch der Daten ein bemerkenswerter und hochinteressanter Film. Diesen spannenden Aspekten steht eine Inszenierung gegenüber, die durch das Schwarzweiß, die symmetrische Bildgestaltung und roten Einblendungen auf einen ausgeprägten Stilwillen hinweisen, der nicht vollends überzeugt. Aber insgesamt ist Democracy – Im Rausch der Daten ein lehrreicher Film über Demokratie in einer digitalisierten Welt.

Democracy - Im Rausch der Daten

Gesetze seien wie Würstchen: Wenn man nicht wisse, wie sie gemacht werden, schlafe man besser, sagte schon Otto von Bismarck. Tatsächlich ist jedoch der Blick auf die Entstehung der Datenschutz-Grundverordnung für die Europäische Union, die David Bernet in seinem Film „Democracy – Im Rausch der Daten“ ermöglicht, sehr aufschlussreich.
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