Das Parfum von Yvonne

Eine Filmkritik von Wolfgang Nierlin

Magie des Begehrens

Die Musik wirkt dramatisch und auf mysteriöse Weise bedrohlich, während eine Abfolge von Stills verlassene Hotelzimmer und leere Empfangshallen zeigt. Es sind Orte „einer vergangenen Welt“, wie es in Patrick Modianos 1975 erschienenem Roman „Villa Triste“ heißt. Die Zeit ist über sie hinweggegangen und umhüllt sie mit Nostalgie. Patrice Leconte verbindet in seiner 1994 realisierten Literaturverfilmung Das Parfum von Yvonne diese Fotografien mit den Erinnerungen des Ich-Erzählers Victor Chmara (Hippolyte Girardot), dessen wiederkehrendes sinnierendes Gesicht wiederum die beiden Zeitebenen des Films ineinander blendet: Den hellen, überaus schönen Sommer des Jahres 1958 und eine nicht näher bestimmte triste Gegenwart, aus dessen dunklen Bildern die vergangene Farbigkeit vertrieben ist. In Modianos melancholischem Abgesang auf eine untergegangene Zeit liegen allerdings zwölf Jahre dazwischen, durch die bestimmte Veränderungen unumkehrbar geworden sind.
Patrice Leconte benutzt die „Suche nach Phantomen der Erinnerung“ als Folie, um in erlesenen Bildern eine romantisch-zärtliche Liebesgeschichte zwischen dem selbsternannten Grafen Victor Chmara und der schönen, aufstrebenden Schauspielerin Yvonne Jacquet (Sandra Majani) zu erzählen. Beide sind in gewisser Weise Weltflüchtige, die sich ihr Leben imaginieren und den schönen Schein eleganter Refugien den Anfechtungen einer hässlichen Wirklichkeit vorziehen. Während Victor aus einem durch die Erschütterungen des Algerienkrieges zunehmend unruhiger werdenden Paris geflohen ist, kaschiert Yvonne ihre Herkunft und einen unsteten Lebenswandel. Als sich die beiden verliebten Träumer in einem vornehmen Hotel eines kleinen, mondänen Ferienortes an der französisch-schweizerischen Grenze kennenlernen, der sich als Annecy identifizieren lässt, begegnen sich zwei Seelenverwandte im Zeichen des Müßiggangs. Ihr zielloses Flanieren von einem Tag auf den anderen wird begleitet von dem homosexuellen Arzt René Meinthe (Jean-Pierre Marielle), den Leconte allerdings als schon ältere, tragikomische Figur überzeichnet, sowie einer schwermütigen deutschen Dogge namens Oswald.

Die von Modiano als „köstliche Apathie“ apostrophierte Geborgenheit einer geradezu in der Zeit schwebenden Existenz übersetzt Lecontes Inszenierung in den erotischen Zauber des gedehnten Augenblicks. In milchiges Licht und eine bleiche Farbigkeit getaucht, beschwören Eduardo Serras geschmackvolle Bilder die Magie des Begehrens und huldigen dabei auf schwelgerische Weise der Vergänglichkeit des schönen Scheins. Immer wieder tastet sich der Kamerablick fasziniert entlang Yvonnes makellosem Körper, erstarrt im frivolen Anblick ihres wehenden Rocks – einem visuellen Leitmotiv des Films – und taucht ein in die Intimität von Haut und Flaum, Blicken und Küssen. Das erinnert mitunter dezent an den gehobenen Erotikfilm der 1970er Jahre. Zwar huldigt Lecontes filmische Verführung dabei der Imagination, erschöpft sich aber zugleich in der Darstellung äußerlicher Reize. Modianos Portrait einer untergegangenen Gesellschaft, seine Beschreibung von provinzieller Enge und nicht greifbarer Sehnsucht sind in Lecontes Verfilmung eher (ironisches) Beiwerk. Zwar ist Das Parfum von Yvonne durchaus atmosphärisch „gestimmt“; doch die so typische Atmosphäre von Modianos Villa Triste umschließt darüber hinaus ein Geheimnis, das sich nur in seinen Schatten zeigt. Nicht umsonst lautet das von Dylan Thomas stammende Motto des Buches: „Wer bist du, der du nur Schatten siehst?“

Das Parfum von Yvonne

Die Musik wirkt dramatisch und auf mysteriöse Weise bedrohlich, während eine Abfolge von Stills verlassene Hotelzimmer und leere Empfangshallen zeigt. Es sind Orte „einer vergangenen Welt“, wie es in Patrick Modianos 1975 erschienenem Roman „Villa Triste“ heißt. Die Zeit ist über sie hinweggegangen und umhüllt sie mit Nostalgie.
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