Das Konzert

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Allegro vivacissimo!

Es beginnt mit einer Täuschung, und geht auch damit weiter – das ist ein unterschwelliges Thema des Films, ein Leitmotiv, in dem sich kleine und große Lügen (erst durch Kameraführung und Schnitt; dann in der Handlung mit Identitäten, Telefonanrufen, gefälschten Pässen) aneinander reihen, und alles hat doch das Ziel, die Wahrheit zu ihrem Recht kommen zu lassen.
Das könnte das Gerüst für einen Thriller sein, es ist aber der Stoff, aus dem Regisseur Radu Mihaileanu eine subtile und schmalzfrei herzzerreißende Komödie entwickelt. Der Mann hat Erfahrung darin, uns eine Welt aufzutischen, in der Täuschung die einzige Rettung scheint: 1998 hat er Zug des Lebens gemacht, in dem eine Gruppe osteuropäischer Juden im zweiten Weltkrieg die eigene Deportation vortäuscht, um ihrer Ermordung zu entgehen.

Vor knapp dreißig Jahren war Andrej Filipow (Aleksej Guskow) ein bedeutender Dirigent in der Sowjetunion, bis er geschasst wurde, weil er, Breschnews Politik trotzend, Juden in seinem Orchester spielen ließ. In Russlands Gegenwart darf er im Bolschoj-Theater während der Proben nicht einmal mehr in den Zuschauerraum, denn schließlich ist er dafür zuständig, unter anderem das Büro des Direktors sauber zu halten.

So fällt ihm, während er dort putzt, ein Fax in die Hände, in dem das Pariser Théâtre du Châtelet anfragt, ob nicht das Orchester des Bolschoj kurzfristig zu einem Gastspiel anreisen könne. Und mit einer Entschlossenheit, die ihn selbst so sehr überrascht wie wohl den Zuschauer, der bis dahin von seinem Vorleben noch gar nichts weiß, beschließt Andrej, selbst mit einem Orchester nach Paris zu reisen.

Das ist ein Plan, so irrwitzig und schlichtweg unmöglich, er kann einfach nur Scheitern – und genau darin liegt der Charme dieses Films, wie er trotz aller Unwahrscheinlichkeiten und entgegen aller Logik sich und seinen Figuren dennoch den Weg bahnt. Statt allzu präzisem Realismus in der Sache interessiert sich Mihaileanu mehr dafür, seinen Figuren eine Überdosis Leben einzuhauchen.

Denn Andrej, der stellenweise hilflos und furchtbar verloren wirkt, verbirgt darunter reichlich Komplexität und vor allem Kraft – alles Dinge, die sich aus seiner Vorgeschichte nach und nach erklären. Es ist vor allem seine Frau, die an diese seine Fähigkeiten glaubt, während sie selbst sehr damit beschäftigt ist, gegen Bezahlung Statisten für Mafioso-Hochzeiten und sonst zu wenig besuchte Kundgebungen der Kommunistischen Partei zu organisieren.

In solchen Momenten sticht dann auch hervor, dass der Film ganz nebenbei ein bemerkenswertes, für westliche Augen palatables Portrait des postsowjetischen Russlands ist. Zwar spielt Politik hier, außer im Blick auf die Vergangenheit, keine Rolle. Andrej verpflichtet mit tatkräftiger Hilfe seines alten Freundes Sascha (Dmitrij Nazarow) nahezu das komplette Orchester wieder, das mit ihm zusammen 1980 öffentlich gedemütigt worden war, und die Lebensrealität all der ehemaligen Musiker macht ohne Übertreibung die Verwerfungen deutlich, die die russische Gesellschaft durcheinander gewirbelt haben, und auch, welche Fallhöhe es zwischen den gemieteten Statisten und den Mafiosi oder Politikern gibt.

Überhaupt gewinnt Das Konzert große Teile seines Charmes aus den Szenen in Russland, wo die ganze erste Hälfte des Films spielt. Nicht nur trägt das dabei durchgehend gesprochene Russisch (dem später, in Frankreich, ein Sprachgemisch ebenso folgt wie ein ganz enormer Culture Clash) zur Stimmenvielfalt des Filmes bei, hier wird auch in den Figuren der Grundstein gelegt für das orchestrale Arrangement, dem der ganze Film sich unterwirft. Wie selbstverständlich kommen die Musiker aus ganz verschiedenen ethnischen Gruppen des Vielvölkerstaates Russland; und weil wir eine Komödie sehen, bekommen sie auch klassische Stereotype der jeweiligen Ethnie verpasst. Aber dabei bleibt Das Konzert eben nie stehen; selbst die Randfiguren bekommen Tiefe, und bis auf vielleicht eine Ausnahme dürfen selbst die Antagonisten reifen, sich wandeln und Sympathien gewinnen.

Hier stimmt, soll das heißen, jeder Ton – und das ist nicht gemeint im Sinne eines schmalzigen Klangteppichs, der nur platte Harmonie zu verströmen weiß. Der Maßstab für diesen Film ist Tschaikowskys Konzert für Violine und Orchester in D-Dur, und so schwingt in Das Konzert alles Mögliche mit: die Erinnerung, die Vergangenheit als immer neu variiertes Thema (samt überraschender neuer Töne in die Gegenwart hinein), zwischendrin immer wieder flotte Arpeggien einer unberechenbaren Solistin (Mélanie Laurent) und vor allem ein Ensemble, das sich ganz in den Dienst des großen Ganzen stellt, anfangs dissonant, dazwischen forte und schließlich ergriffen und mitgerissen – selbst Altkommunist Iwan Gawrilow (Walerij Barinow), der seinerzeit Andrejs Dirigentenstab zerbrach, bekommt noch eine Chance, sich wieder in den Dienst der Musik zu stellen.

Das Konzert ist ein Musikfilm, in dem es vordergründig nur wenig Musik zu geben scheint – viel wird davon geredet, Andrej spricht gern von seinem Traum ultimativer Harmonie; Mihaileanu nimmt das aber erst einmal zum Vorwand, um seine Geschichte wie Musik zu erzählen. Und dann lässt er doch die Musik sprechen; die letzten zehn Minuten des Films sind pure inszenatorische Chuzpe, großes Emotionskino. Wer da nicht berührt wäre, muss wohl ein Stein sein, dem auch Orpheus keine Tränen hätte entlocken können.

Das Konzert

Es beginnt mit einer Täuschung, und geht auch damit weiter – das ist ein unterschwelliges Thema des Films, ein Leitmotiv, in dem sich kleine und große Lügen (erst durch Kameraführung und Schnitt; dann in der Handlung mit Identitäten, Telefonanrufen, gefälschten Pässen) aneinander reihen, und alles hat doch das Ziel, die Wahrheit zu ihrem Recht kommen zu lassen.
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Meinungen

Don · 04.02.2011

Einfach in jeder Hinsicht ein herrlicher Film. Zum Glück gehöre ich nicht zu den miesepetrigen Dauernörgler, die sich solchen Kunstwerken verschliessen.

Josef · 08.11.2010

In Paris gleich viermal hintereinander gesehen. Wer Russisch kann und Französisch, hat Vorteile, weil auch Wortwitz dabei ist. Wer die jüdische Welt kennt, ist noch besser bedient. Aber auch alle anderen lassen sich einfach von dieser unglaublichen Lebens- und Musiklust einfach mitreißen.

Gina · 26.10.2010

Super, durch all die herrlichen Übertreibungen der Spur der Wahrheit(en) zu folgen! Wirklich gutes Wiedererkennungs-Kino über unsere gar nicht einfachen Kulturen und Geschichten...

kiki · 12.10.2010

Ach ja, welchen Anspruch hat man denn, wenn man sich einen solchen Film anschaut??? Ich habe so gar nichts zu meckern, ganz im Gegenteil. Und soweit ich beobachten konnte ist nicht ein Auge trocken geblieben im Kino!!! Wunderschöner Film zum wegträumen aus dem Alltag!! In Originalversion allerdings in der Tat NOCH schöner!!!

Barbara · 01.09.2010

Also wirklich...seit wann ist Kino denn realistisch??? Natürlich ist es völlig unwahrscheinlich, dass nach 30 Jahren ohne jede Vorbereitung solch ein Konzert zustande kommt. Aber den Film mitsamt dieser unwirklichen Idee fand ich trotzdem sehr schön. Dei Synchronisation fand ich auch nicht schlimm. Wenn man möchte, findet man immer ein Haar in der Suppe. In viele berühmten Filmen gibt es Fehler, die sind sogar teilweise Kult geworden. Vielleicht sollte man einfach mal Filme genießen als das, wofür sie meist gedacht sind: als Ablenkung aus dem Alltag und zur Unterhaltung. Ansonsten hätte doch niemand in Filme wie Terminator oder sonstige gehen dürfen...:-)))

christoph · 27.08.2010

...... na ja, ganz lustig. sicher kein "grosses kino".
alles zu holzschnittartig, wie aus der klischee-/klamottenkiste (man denke da an die darstellung des alten jüdischen musikers). dazu passt, dass in der schlüsselszene, wo die freundin/agentin die stargeigerin umstimmen will, das konzert doch zu spielen, und diese sich die musik als schallplatte auflegt, mahlers 1. ertönt......das (musik-)thema ist aber tschaikowski.....
wird kaum jemand merken, passt aber zur flachheit des gesamten films.
muss ich nicht noch mal sehen.

Clemens · 26.08.2010

@ Johanna/Gudrun: Die Solistin ist Sarah Nemtanu, Konzertmeisterin des Orchestre National de France. Das Orchester ist das Budapest Symphony Orchestra.

Fabi · 23.08.2010

toll, schön, klasse, super, zum Weinen, zum Lachen!

miki aus wien · 19.08.2010

ein schöner märchenfilm, greift an die tränendrüsen, leider gänzlich unwahrscheinlich; herrliche Musik, viele lustige Szenen, blenden gespielt.

Ute · 17.08.2010

Ich habe mich geärgert über die Anreihung und das Auswalzen von Unwahrscheinlichkeiten, welche darin gipfeln, daß ein Haufen undisziplinierter Leute, die sich seit 30 Jahren nicht gesehen haben, ohne jede Vorbereitung und Probe (und ohne sich deswegen Sorgen zu machen) ein hochklassiges Konzert spielt und das so gut, daß es die Konzertbesucher vom Sessel reißt und die Grundlage zu weiterführenden Erfolgen ist. Das ist so eine Art von Unwahrheit, die einfach nicht geht. Und das war auch noch alles vorhersehbar. Die Synchronisation hat ein übriges getan. So einen Film sollte man wirklich nicht synchronisieren. Im Original hätte er mir vermutlich viel besser gefallen. Die Musik war natürlich großartig und ich fand auch beeindruckend, wie die Schauspieler das Musizieren dargestellt haben, das ist ja nicht so trivial.

ein Stein · 17.08.2010

Ich hätte zu gern den Film gesehen, der in obiger Kritik beschrieben wurde, aber leider... ist der Film geradezu ärgerlich, lässt kein Klischee aus, ohne wenigstens einmal in die tiefe zu gehen. Und ich will auch gar nicht polemisch werden: finde es nur schade! Kiesel

Anna · 16.08.2010

Ein Film, der Hoffnung gibt, durch Ausdauer und Hartnäckigkeit das Unmögliche zu versuchen. Die Realität, die nicht immer mit Erfolg gekrönt ist lässt sich mit Humor und Anteilnahme leichter und vor allem demütiger ertragen.

Hanne Traenkner · 12.08.2010

Ein Film, der alle Vorurteile die wir haben auf wunderbare Weise ins Humvorvolle übertreibt und die alles überwindende "Macht der Musik" ergreifend darstellt. Unbedingt sehenswert !

Karin · 12.08.2010

Ich habe den Film gestern abend gesehen. Wahrscheinlich ist er eher ein Film für Frauen - aber wer wirklich mal wieder einen gut gemachten und "schönen" Film sehen will, der sollte unbedingt ins Kino gehen - am besten in ein kleineres Programmkino. Und die Taschentücher nicht vergessen. Ein Film der berührt, Klischees bedient - Lachen und Weinen läßt und schließlich geht man zufrieden nach Hause. Ich gehe jedenfalls nochmal hin !!!

Hans · 11.08.2010

Nach den Erwartungen, die der Trailer geweckt hat, eine absolute Enttäuschung! Für eine Kommödie zu wenig lustig (oder kann man über die abgedroschenen Klischees von Juden, Russen usw. noch lachen?), für einen Film, der anrührend sein will, zu wenig realistisch und zu wenig gut gespielt, die Handlung zu einfach gestrickt, zu durchschaubar und vorhersehbar. Ganz schlimm die schauspielerische Leistung bei der Konzert-Szene am Schluss. Um von der Musik ergriffen zu werden, musste ich die Augen schliessen, um das steife, körperlose Spiel der Solistin und das stümperhafte Dirigat, das so überhaupt nicht zur temperamentvoll und gut gespielten Aufnahme passte, nicht mitansehen zu müssen.

Natan rosello · 09.08.2010

Ich bin sonst nicht so für das Genre zu haben. Aber der Film war aussergewöhnlich gut. Sicher, mitunter etwas tränendrüsig aber trotzdem: Die Franzosen haben mal wieder bewiesen, daß sie das europäische Land mit den besten Darstellern und Filmen sind. Nahezu alle Darsteller waren brilliant.

sehr sehenswert

Sebastian · 08.08.2010

Warum wird so ein Film komplett synchronisiert? Hab mich sehr geärgert, dass sowohl das Russische als auch das Französische synchronisiert wurde... erzeugt Brüche im FIlm und ist überflüssig. Am besten im Original anschauen!
Die Leistung von Melanie Laurant ist phantastisch, vor allem ihr Geigenspiel wirklich sehr überzeugend.

Johanna · 08.08.2010

Der Film hat mich tief berührt, wenn man die anderen Filme kennt, weiß man zwischen den Zeilen zu lesen, kennt die eigentliche Dramatik hinter den oftmals grotesken und humorvollen Szenen.
Lieder konnte ich nicht herausbekommen wer der Solist oder die Solisten war, die dieses wunderbare Violinkonzert von Taschaikowski gespielt hat. Kann man mehr drüber erfahren.

Sigrid · 07.08.2010

Ein wunderbarer Film und ein Erlebnis im Kino mit dieser Musik!

Traudl · 05.08.2010

War sehr beeindruckend. Ein seltener fantastischer Film mit viel Hintergrund bei dieser Klasse der Klassik. Werde ich mir sicher mindestens noch einmal ansehen.

Helene · 03.08.2010

Wunderbar, so muß Kino sein, man geht mit
einem Glücksgefühl nach Hause.

Frank · 31.07.2010

@ Gudrun:
Im Abspann stand etwas von Budapest Symphony Orchestra.

Gudrun · 26.07.2010

Komisch, absurd, satirisch, dramatisch, anrührend und mit wunderbarer Musik - ein toller Film, was mich zwar nicht überrascht hat, nachdem ich "Zug des Lebens" gesehen hatte, aber trotzdem wieder begeisterte. Und nun versuche ich rauszukriegen, welche Aufnahme des Violinkonzerts da gespielt wurde - hat jemand eine Ahnung??

Thomas · 25.07.2010

leider kann ich mich den Jublern nicht anschließen.
Im Film werden so ziemlich alle gängigen Vorurteile gegen Russen, Juden und Kommunisten bedient und über alle Maßen strapaziert; selbst unter der Überschrift Kommödie war das (für mich) schwer erträglich. Die daneben auch dargestellten wunderbar warmherzigen Charaktere (der vollbärtige Cellist!) haben es schwer, dagegen anzuspielen. Da versöhnt nur die Musik Tschaikowskis, die tatsächlich im letzten Teil des Films vieles wieder 'rausreißt. Aber das hat man in einem richtigen Konzert schöner. Auf den Film kann man jedenfalls gut verzichten.

Jürgen · 21.07.2010

War auch beim Preview. Der Film ist wirklich ganz fantastisch

Christiane · 20.07.2010

Durfte gestern die Prewiew in Deutschland sehen und bin sehr beeindruckt. Toller Film, noch tollere Musik die tief berührt. Einfach wunderschön! Schließe mich meinen Vorrednern an...

Andrea Hoffmann · 03.01.2010

Film Des Jahres...

Josef Dengler · 03.01.2010

Lachen und zum Schluss Tränen einer Rührung, die tiefer geht als Musik allein - in der Kombination von Bildern, Fantasie, und diesem überragenden Violinkonzert von Taschaikowski.