Das bessere Leben (2011)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Journalistin in der Krise

Biete Wohnung gegen Sex – dieser Tauschhandel scheint gar nicht so selten zu sein, wenn es sich um junge Studentinnen handelt. Regisseurin Magolska Szumowska (33 Szenen aus dem Leben) jedenfalls hat bei ihren Recherchen in Polen solche Mädchen getroffen. Sie macht in ihrem vierten Spielfilm daraus aber kein Sozialdrama, sondern bietet verstörendes, glänzend gespieltes und raffiniert erzähltes Kino.

Ähnlich wie der recherchierenden Regisseurin geht es ihrer Hauptfigur, der Pariser Journalistin Anne (Juliette Binoche). Sie bekommt Antworten, die ihr Weltbild infrage stellen und sie in einen Sog tiefster Verunsicherung ziehen. Da gerät eine Welt komplett aus den Fugen. Und es ist beeindruckend, mit welch intensiven schauspielerischen und visuellen Mitteln das Filmteam die Unentrinnbarkeit dieses Prozesses spürbar macht.

Anne lebt ein sorgloses, luxuriöses Leben. Sie erledigt den Haushalt für ihre beiden Söhne und den viel beschäftigten, meist am Handy hängenden Ehemann. Außerdem ist sie eine erfolgreiche Journalistin. Als freie Mitarbeiterin der Modezeitschrift Elles sagt sie ihrem Auftraggeber durchaus die Meinung, wenn der meint, er müsse den Artikel wesentlich kürzen.

Für die Rubrik „Investigatives“ von Elles also schreibt Anne über Studentinnen, die ihren Körper verkaufen, um die Ausbildung zu finanzieren. Eigentlich ein Artikel, der sich von selbst schreibt, sollte man meinen: Demütigung von Frauen, Ausnutzen einer Notlage, Schande einer Gesellschaft, die so etwas zulässt oder gar befördert. Aber Charlotte (Anaïs Demoustier) und Alicja (Joanna Kulig) geben ganz und gar nicht die Antworten, die Anne auf ihre Fragen erwartet. Nein, sie empfinden ihre Arbeit nicht erniedrigend, sondern eher als zeitsparende Möglichkeit, sich materiell mehr zu leisten als andere. Was Anne aber am meisten irritiert, sind die Geschichten und Sexpraktiken, die sie von ihren Kunden erzählen. Könnten diese gelangweilten, gut verdienenden Ehemänner um die 50 nicht genauso gut bei Anne am Esszimmertisch sitzen — als Gäste des Dinners, das sie für diesen Abend vorbereiten muss? Oder gar als der eigene Ehemann?

Ganz bewusst verweigert Das bessere Leben Orientierungshilfen, moralische Urteile oder wenigstens irgendwelche gedanklichen Leitplanken bei dieser Irrfahrt in ein seelisches Loch, in das der Film seine Protagonistin schickt. Stattdessen baut er auf eine Dramaturgie, die den Zuschauer den allmählichen Zerfall fest gefügter Identitätsmuster miterleben lässt. Magolska Szumowska hängt ihre Erzählstruktur am Ablauf eines Tages im Leben von Anne auf, an dem sie an dem Artikel schreibt. Dazwischen schneidet sie die Begegnungen mit den Studentinnen und die drastisch-expliziten Sexszenen, die die Protagonistin mehr und mehr verunsichern. Zwischen nervöser Handkamera, ruhigen Einstellungen und überraschender Montage schreitet die Krise voran.

Dass Juliette Binoche die Hauptrolle übernommen hat, ist ein Glücksfall. Nicht nur, weil sie derart glaubwürdig die Balance zwischen großbürgerlicher Lady und unabhängiger, alternativ angehauchter Querdenkerin hält. Sondern auch, weil sie sich dem Prozess der Verunsicherung haltlos hingibt. Biete neue Identität gegen bürgerlichen Wohlstand? Nicht einmal das ist am Ende klar.
 

Das bessere Leben (2011)

Biete Wohnung gegen Sex – dieser Tauschhandel scheint gar nicht so selten zu sein, wenn es sich um junge Studentinnen handelt. Regisseurin Magolska Szumowska („33 Szenen aus dem Leben“) jedenfalls hat bei ihren Recherchen in Polen solche Mädchen getroffen. Sie macht in ihrem vierten Spielfilm daraus aber kein Sozialdrama, sondern bietet verstörendes, glänzend gespieltes und raffiniert erzähltes Kino.

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Meinungen

Ines Witka · 17.04.2012

„Das bessere Leben“ Wer wünscht sich das nicht, doch wie weit würdest du dafür gehen? Juliette Binoche spielt in dem Film die erfolgreiche Pariser Journalistin Anne. Für einen Artikel interviewt sie zwei Studentinnen, die als Escort-Girls arbeiten.
Der Film erinnerte mich stark an meine Recherche zu dem Buch „Stell dir vor, ich bin deine heimliche Geliebte“ Wie Anna machte auch ich die Erfahrung, dass die Frauen oft verblüffende Antworten auf meine Fragen hatten. Wer mehr dazu wissen möchte, schaut doch einfach auf meinem Blog vorbei. Leicht zu finden unter der Adresse des Gatzanis Verlags.

Kritiker 1. · 12.04.2012

Dieser Film ist sehr gelungen und berührt mich innerlich zutiefst. Das ist ein Weltthema und es sollten sich viel mehr Filmemacher nach diesen Themen richten!

SUPERTOLL!!!

Dagmar Springer · 09.04.2012

Knallhart, aber sehr beeindruckend. Blendende Schauspieler.