Dämonen und Wunder - Dheepan

Eine Filmkritik von Festivalkritik Beatrice Behn, Cannes 2015

Gewalt und Gegengewalt

Dheepan (Antonythasan Jesuthasan) verbrennt seine gefallenen Kameraden, zieht sich die Uniform aus und macht Schluss mit dem Bürgerkrieg, Schluss mit den Tamil Tigers. Er kann nicht mehr. Der Krieg, das Gemetzel, die Verluste haben ihn mürbe gemacht. Yalini (Kalieaswari Srinivasan) will nur noch raus aus Sri Lanka. Nach London zu ihrer Cousine. Im Flüchtlingslager sucht sie ein Kind. Eines, das keiner will. Sie findet Illyaal (Claudine Vinasithamby), ein Waisenkind. Zusammen mit Dheepan werden sie mit Papieren für die Immigration nach Frankreich ausgestattet. Von jetzt an sind sie Vater, Mutter, Tochter.
In Paris angekommen, werden sie in eine Sozialwohnungssiedlung am Stadtrand gepackt. Dort arbeitet Dheepan als Hausmeister, Yalini pflegt einen alten Mann und Illyaal besucht zum ersten Mal eine Schule. Es könnte alles gut gehen, wäre die Gegend nicht zwischen Banden aufgeteilt, die die Regeln aufstellen, die Anwohner drangsalieren und das Territorium zwischen sich aufgeteilt haben. Als der Anführer einer Bande aus dem Gefängnis entlassen wird, stellt sich heraus, dass er der Sohn des pflegebedürftigen Mannes ist. Yalini versucht die Situation vorsichtig zu meistern aber Dheepans kriegsversehrte Seele verfällt alsbald in Panik und schaltet den tamilischen Krieger wieder an.

Nach Ein Prophet und Der Geschmack von Rost und Knochen waren die Erwartungen an Dheepan natürlich groß. Und Jacques Audiard enttäuscht nicht. Sein Immigrantenfilm ist einerseits einfühlsames Drama, andererseits ein Thriller. Dheepans und Yalinis Geschichte ist in gewisser Weise eine Bearbeitung des Bürgerkriegs in Sri Lanka. Er, ein desillusionierter Soldat, ist mitverantwortlich für unzählige Gräueltaten. Sie, eine Zivilistin, ist Leidtragende des Konfliktes ohne Zukunft im eigenen Land. Es scheint als wüssten beide auf welcher Seite sie standen und doch müssen sie jetzt zusammenarbeiten, denn ohne den/die andere/n kommen sie nicht raus. Und auch in Paris sind sie abhängig voneinander, denn die Papiere gibt es nur als Familie. Und so wird nicht ausgesprochen was da im Raum steht. Die Lügen, das Verleugnete, das Grauen gehen mit ins Exil. Und landen mitten im nächsten Krieg, auch wenn dieser im Vergleich zu Sri Lanka ein Witz ist. Ein interessanter Seitenhieb, den Audiard seinem Heimatland hier gibt, zeigt er die Banlieus von Paris doch eindeutig als bürgerkriegsähnliches Territorium.

Unter dem Drama pocht jedoch die räudige Seele eines Thrillers. Und nach einer kurzen Weile, in der sich die neue Patchwork-Familie einlebt und sich sogar zärtlich näher kommt, eskalieren die unterdrückten Emotionen und Dheepans mitgebrachte Dämonen nehmen ihren freien Lauf. Nachdem er schon einmal seine Frau und Kinder verloren hat, triggert eine Situation, in der Yalini bedroht wird, den Mann so sehr, dass er Amok läuft. Hier nun lässt Audiard alle Zurückhaltung fallen und arbeitet mit seinen typischen Brachialmetaphern, die keinerlei Raum für Interpretation lassen. Die Grundlage ist allerdings recht dünn und nicht gut eingebaut, so dass die schlagartige tonale Änderung umso plötzlicher und heftiger erscheint. Hier stolpert der Film ein wenig über seine eigenen Füße, vermag sich aber wieder zu fangen, wenn auch das letzte Drittel und vor allem das Ende dem starken Auftakt ein wenig den Wind nehmen.

Nichtsdestotrotz bleibt Dheepan ein außergewöhnlicher Film, der mit Audiards vorhergehenden Meisterwerken durchaus mithalten kann.

(Festivalkritik Beatrice Behn, Cannes 2015)

Dämonen und Wunder - Dheepan

Dheepan (Antonythasan Jesuthasan) verbrennt seine gefallenen Kameraden, zieht sich die Uniform aus und macht Schluss mit dem Bürgerkrieg, Schluss mit den Tamil Tigers. Er kann nicht mehr. Der Krieg, das Gemetzel, die Verluste haben ihn mürbe gemacht. Yalini (Kalieaswari Srinivasan) will nur noch raus aus Sri Lanka. Nach London zu ihrer Cousine. Im Flüchtlingslager sucht sie ein Kind. Eines, das keiner will.
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Meinungen

Hartmut T. · 11.12.2015

Treffende Kritik von Frau Behn. Der Film ist am Anfang und am Ende durchaus schlüssig. In der Mitte hängt er jedoch durch und strapaziert so das Aufmerksamkeitsvermögen seiner Zuschauer. Eine Kürzung um mindestens 15 Minuten würde ihm guttun.